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Urteil in der Türkei empört Ministerin Baerbock

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Von: Pitt von Bebenburg

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Osman Kavala (Archivbild).
Osman Kavala (Archivbild). © AFP

Außenministerin geißelt das Urteil gegen den Kulturförderer für Osman Kavala in der Türkei. Auch Journalistinnen und Journalisten müssen um ihre Freiheit fürchten.

Das harte Urteil gegen den Menschenrechtsaktivisten und Kulturförderer Osman Kavala ist international auf scharfe Kritik gestoßen. „Dieses Urteil steht in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Sie forderte, dass Kavala unverzüglich freigelassen werden müsse – dazu habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei „verbindlich verpflichtet“.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, erklärte, die USA seien „zutiefst beunruhigt und enttäuscht“ über die „ungerechte“ Entscheidung des Gerichts. Price rief die türkische Regierung auf, „die politisch motivierte Verfolgung zu beenden“.

Kavala war am Montag in Istanbul zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die drei Richter erließen das Urteil gegen den 64-Jährigen wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes der Regierung. Die Möglichkeit einer Bewährung schlossen sie aus. Sieben Mitangeklagte, denen vorgeworfen wird, Kavala unterstützt zu haben, erhielten mehrjährige Haftstrafen.

Kavala ist seit vier Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Silivri nahe Istanbul inhaftiert, ohne dass bislang ein Urteil gegen ihn ergangen war. Der Geschäftsmann war 2017 ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichteten Gezi-Proteste in Istanbul 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar 2020 sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei. Kavala wurde aus der Haft entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen – diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 und wegen Spionagevorwürfen. Kavala weist die Anschuldigungen zurück.

Am Dienstag versammelten sich Anwälte vor dem Gerichtsgebäude. „Gestern hat in diesem Gericht eine Tragödie stattgefunden“, sagte der Anwalt Kemal Aytac. Die Richter hätten nur die Anordnungen der „politischen Macht“ umgesetzt.

Die Anwaltskammer in Ankara erklärte, das Urteil habe nichts mit Recht und Gerechtigkeit zu tun. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf dem Gericht Parteilichkeit vor. Nach Ansicht von Amnesty International zeigt das Urteil, „dass rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei nicht zählen“.

Die Schriftstellervereinigung PEN urteilte, der Prozess sei ein politisches Verfahren gewesen, „frei von Rechtsstaatlichkeit, mit sogar für türkische Verhältnisse atemberaubend lächerlichen Anklagen“. So formulierte es der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Deniz Yücel, der selber ohne Anklageschrift in der Türkei inhaftiert worden war. Auch in dessen Fall hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei verurteilt. Yücel sagte, um die Glaubwürdigkeit dieses Gerichtshofs zu wahren, müsse die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat suspendiert werden.

Kavala und seine Mitstreiter:innen sind nicht die einzigen, die in der Türkei unter fadenscheinigen Vorwänden verurteilt wurden. Die nichtstaatliche Plattform „Expression interrupted“ zählt 54 Journalist:innen, die in türkischen Gefängnissen einsäßen.

So erging Anfang März ein hartes Urteil gegen vier ehemalige Beschäftigte der Zeitung „Taraf“, die nach dem Putschversuch von 2016 verboten worden war. Das Gericht verurteilte den Reporter Mehmet Baransu zu 13 Jahren Haft und die Redaktionsverantwortlichen Ahmet Altan, Yasemin Çongar and Yildiray Ogur zu je drei Jahren und vier Monaten. Ihnen wird vorgeworfen, geheime Dokumente besessen und veröffentlicht zu haben, was sie bestreiten. Es wird erwartet, dass die Verurteilten Berufung einlegen. Baransu ist bereits seit sieben Jahren inhaftiert, die anderen drei Verurteilten befinden sich auf freiem Fuß.

Ahmet Altan hatte wegen weiterer Vorwürfe, darunter Unterstützung einer terroristischen Organisation, vier Jahre und sieben Monate lang in Haft gesessen, ehe er im April 2021 freikam. Die Frankfurter Rundschau unterstützt ihn und andere inhaftierte Journalist:innen mit einer Solidaritätskampagne. Auch in Altans Fall hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Türkei Verstöße gegen die Meinungsfreiheit, das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf eine zügige Gerichtsentscheidung attestiert. Der 72-jährige Schriftsteller darf jedoch das Land nicht verlassen.

Im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul, wo viele der Erdogan-Kritiker inhaftiert sind, hatte Altan ein Buch über die Zeit hinter Gittern geschrieben. Es ist unter dem Titel „Ich werde die Welt nie wiedersehen“ in Deutschland erschienen. Sein neuer Roman „Hayat heißt Leben“ soll in Kürze im Fischer-Verlag herauskommen. mit dpa

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