1. Startseite
  2. Politik

Streit über Nawalnys Wahl-App: Unkluge Abstimmung in Russland

Erstellt:

Von: Stefan Scholl

Kommentare

Nach der Parlamentswahl in Russland ist es in Moskau zu Protesten gekommen. Am Puschinkplatz versammelten sich am Montagabend schätzungsweise 300 Menschen friedlich.
Nach der Parlamentswahl in Russland ist es in Moskau zu Protesten gekommen. Am Puschinkplatz versammelten sich am Montagabend schätzungsweise 300 Menschen friedlich. © dpa

Die Opposition in Russland streitet über Nawalnys Wahl-App. Mit der App sollten den Einheitsrussen möglichst viel Mandate abgejagt werden. 

Moskau - Jekaterina Jeschowa, Kandidatin der liberalen „Jabloko“-Partei bei den Regionalwahlen im sibirischen Tomsk, gehört zu den Verliererinnen des Wahlsonntags. Die Bürgerrechtlerin belegte in ihrem Wahlkreis „Wusowski“ nur Platz drei hinter dem Kandidat der Staatspartei „Einiges Russland“ (ER) und einem jungen Kommunisten. Zum Verhängnis sei ihr auch die „Kluge Abstimmung“ geworden, die den Wähler:innen den 22-jährigen Genossen empfohlen hatte.

Mit dieser App wollte Alexei Nawalnys Exilstab den Einheitsrussen möglichst viel Mandate abjagen. „In Dscherschinskoje, meinem Heimatdorf, haben genauso viele Leute für diesen Jüngling gestimmt wie für mich. Obwohl ihn hier nie jemand gesehen hat und er nichts für das Dorf getan hat.“

Insgesamt schafften es nur neun Personen direkt in die Duma

Der große Gewinner der Wahlen in Russland heißt ER. Putins Partei verteidigt mit 49,8% der Stimmen, vor allem mit Siegen in 198 von 225 Direktwahlkreisen ihre Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma. Viele Verlierer:innen machen auch die „Kluge Abstimmung“ dafür verantwortlich.

Dafür empfahlen Nawalnys Radikaldemokraten den Wählern in jedem Wahlkreis einen Kandidaten, der nach ihrer Meinung die größten Erfolgschancen gegen den ER-Bewerber besaß.

„Sie tauschen Korruptionäre durch Korruptionäre aus“

Die „Kluge Abstimmung“ sei eine Dummheit gewesen, klagt Wassili Schipilow, der in Tomsk als Parteiloser für die Kommunisten zur Staatsduma kandidierte. Auch er belegte in seinem Direktwahlkreis nur den dritten Platz. Es siegte der amtierende Abgeordnete der nationalpopulistischen LDPR, der in der Duma fünf Jahre stramm für die Gesetzentwürfe des Kremls gestimmt hatte. Trotzdem empfahl die „Kluge Abstimmung“ ihn, offenbar wegen des Sieges des Rechtspopulisten 2016. „Die ,Kluge Abstimmung‘, das waren die viertausend Stimmen“, sagt Schipilow, „die mir zum Sieg gefehlt haben.“

Auch andere Kandidat:innen der „Klugen Abstimmung“ scheiterten. Nawalnys Leute hatten 137 kommunistische Direktkandidat:innen empfohlen, insgesamt schafften es nur neun direkt in die Duma. Schon vor der Wahl wurde über die Taktik der Nawalnisten gestritten.

Die Internet-Wahl ist nicht kontrollierbar

Sie setzte auf die Gewinnchancen eines Kandidaten, nicht auf seine Weltsicht. Und den 137 Kommunist:innen, deren Parteispitze alle Fabriken verstaatlichen will, vorerst aber auf Putins Kommandos hört, standen nur zehn empfohlene Jabloko-Liberale gegenüber. „Sie bringen Leute ins Parlament, die so abstimmen wie ER“, sagt Jabloko-Parteichef Nikolai Rybakow. „Sie tauschen Korruptionäre durch Korruptionäre aus.“

Immerhin lagen in Moskau bis kurz vor Schluss acht von 15 Kandidat:innenen der „Klugen Abstimmung“ vorne, Kommunisten, Liberale eine Parteilose. Aber dann vernichteten die Resultate der Internet-Wahl, an der angeblich zwei Millionen Menschen teilnahmen, und die nicht kontrollierbar sind, all ihre Siege. „Elektronische Wahl“ schlägt „Kluge Abstimmung“. Oder wie der Oppositionspolitiker Daniil Konstantinow auf Facebook kommentiert: „Völlig egal, wen ihr wählt, wenn euer direkter politischer Gegner eure Stimmen auszählt!“. (Stefan Scholl)

Auch interessant

Kommentare