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Ungarns geostrategischer Zickzackkurs

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Von: Thomas Roser

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Stilisiert sich gern als Hüter nationaler Interessen: Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn.
Stilisiert sich gern als Hüter nationaler Interessen: Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn. © dpa

Budapest hat den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands noch nicht ratifiziert – womöglich, um der Türkei helfen

Klare Botschaften oder Forderungen hatte der Gast aus Budapest bei seinem Skandinavien-Abstecher nicht im Gepäck. Ungarn habe die Nato-Beitrittsgesuche Finnlands und Schwedens „von Anfang an unterstützt“, versicherte Verteidigungsminister Kristof Szalay-Bobrovniczky den Amtskollegen der Nato-Anwärter. Gleichzeitig beklagte er sich vage, dass in den beiden Staaten „unwahre und falsche Vorwürfe“ gegen Budapest erhoben würden: „Ungarn verdient mehr Respekt.“

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs übt sich Ungarn in der widersprüchlichen Rolle des russophilen Sanktionskritikers, der letztendlich aber alle Sanktionen gegen Russland mit trägt. Auch in der Frage der Nato-Erweiterung steuert die nationalpopulistische Regierung von Premier Viktor Orbán einen Zickzackkurs. Einerseits beteuert Budapest, ein Fürsprecher der bereits im Mai letzten Jahres beantragten Nato-Aufnahme Finnlands und Schwedens zu sein. Andererseits mimt Budapest die Rolle des Bremsers bei der geplanten Nato-Erweiterung und verzögert die Absegnung der Beitrittsgesuche.

In der Nato hat außer der Türkei nur Ungarn die Aufnahme Finnlands und Schwedens noch nicht ratifiziert: Eine für diese Woche angesetzte Parlamentsdebatte darüber wurde kurzfristig erneut vertagt. Während Ankara von Finnland und Schweden im Gegenzug für die Zustimmung die Auslieferung von als „Terroristen“ bezeichneten Anhänger:innen der kurdischen PKK und des islamischen Predigers Fethullah Gülen fordert, sind die Motive für Ungarns Zaudern weniger deutlich.

Angebliche Meinungsunterschiede in der Fraktion der regierenden Fidesz-Partei führte Budapest als Grund für eine Parlamentarierdelegation ins Feld, die in der vergangenen Woche „zur Klärung“ der Unstimmigkeiten nach Skandinavien reiste. Deren Klagen über „grobe Beleidigungen“ Ungarns hält der Analyst Bulcsu Hunyadi vom „Political Capital“-Institut in Budapest allerdings für so „wenig glaubwürdig“ wie die Behauptung, dass der Regierung Widerstände in der eigenen Partei zu schaffen machten: „Fidesz ist eine stark zentralisierte Partei. Die Abgeordneten folgen den Anweisungen des Premiers aufs Wort.“

Orbán gibt sich als Kämpfer

Ungarns „künstlich aufgebauschte Probleme“ mit den beiden Nato-Anwärtern seien nur „Theater“, um das Herauszögern der Ratifizierung zu rechtfertigen und sich als kompromisslosen Kämpfer für die nationalen Interessen zu präsentieren.

Das eigentliche Ziel sei es aber, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan „einen Gefallen zu erweisen, Zeit zu schinden und so seine Position im Disput mit Schweden zu stärken“, sagt der Analyst: „Erdogan soll nicht alleine stehen und die Türkei nicht das einzige Nato-Mitglied sein, das die Erweiterung noch nicht abgesegnet hat.“

Weltweit sei der Trend zu beobachten, dass autoritäre und populistische Landesführer:innen ihre Kräfte bündelten, „um sich gegenseitig zu stärken und gegen internationalen Druck zu verteidigen“, sagt Hunyadi. Auch der Dauerkonflikt mit Brüssel um blockierte EU-Mittel spiele beim Bremsen der in Ungarn eigentlich unumstrittenen Nato-Erweiterung eine Rolle: „Das einzige Mittel, das Ungarns Regierung zum Einfluss auf Entscheidungsprozesse geblieben ist, sind Veto-Drohungen und Erpressungsversuche.“

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