Terrorjäger in der Sahelzone: Unerfüllbare Mission

Emmanuel Macron verkündet den Tod eines Dschihadistenführers in der Sahelzone. Doch es mehren sich Stimmen, die eine militärische Bekämpfung des „Terrorismus“ in der Region infrage stellen - eine Analyse.
Paris - Etwas Besseres hätte den „Terror-Jäger:innen“ nicht passieren können. Französischen Spezialkräften sei es gelungen, den Chef des „Islamischen Staates in der Sahara-Provinz“, Adnan Abu Walid al-Sahrawi, zu „neutralisieren“, gab der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am Mittwochabend über Twitter bekannt: „Wir haben einen weiteren bedeutenden Erfolg in unserem Kampf gegen den Terror in der Sahel-Zone errungen.“
Wann und wo der Dschihadistenchef, der unter anderem für den Tod von sechs französischen humanitären Helfer:innen und vier US-Soldat:innen verantwortlich gemacht wird, den Spezialkräften in die Hände fiel, gab Macron indessen nicht bekannt. Weswegen der Verdacht geäußert wurde, al-Sahrawi sei womöglich schon früher getötet, sein Ende aber erst jetzt mitgeteilt worden. Zur Bekanntgabe des seltenen Erfolgs der Spezialkräfte konnte es keinen günstigeren Zeitpunkt als jetzt geben: Noch nie befanden sich die „Terrorjäger“ unter größerem Druck.
Die Umtriebe wurden immer blutiger
Zwanzig Jahre ist es her, dass die Regierung der USA nach dem Anschlag auf das New Yorker Welthandelszentrum ihren „Krieg gegen den Terror“ erklärte: In dessen Verlauf kam es allein in Afrika zu mehr als 6000 Terroranschlägen mit weit über 10 000 Toten. Statt an Zahl und Brutalität abzunehmen, wurden die Umtriebe immer blutiger: Derzeit fallen in Afrika monatlich mehr Menschen dem „Terror“ zum Opfer als je zuvor. Als die US-Streitkräfte jetzt mit ihrem Abzug aus Afghanistan die Konsequenzen aus ihrem Scheitern zogen, kam in Westafrika die Furcht auf, dass Staaten wie Mali dasselbe Schicksal blühen könne: Bereits im Juli kündigte Macron einen Teilabzug der französischen Schutztruppe „Barkhane“ in der Sahelzone an.
Nicht, weil sie ihre Mission inzwischen erfüllt hat. Sondern weil sich ihr Auftrag immer deutlicher als unerfüllbar erweist. Gestern traf sich Angela Merkel zu ihrem letzten gemeinsamen Abendessen als deutsche Bundeskanzlerin mit ihrem französischen Freund im Elysée-Palast: Die Lage in der westafrikanischen Sahelzone soll ganz oben auf dem Menü gestanden haben.
Droht ein ein zweites Afghanistan?
Macron macht aus seiner Überzeugung keinen Hehl, dass sich Deutschland am „Anti-Terrorkampf“ in Westafrika stärker beteiligen muss. Schon heute sind Bundeswehrsoldat:innen an zwei Missionen in Mali beteiligt: Bei der Drohnenaufklärung für die Blauhelmtruppe „Minusma“ mit einem knapp 1000-köpfigen Kontingent und bei der Ausbildung malischer Soldaten im Rahmen der „Europäischen Trainingsmission“ (EUTM) mit rund 300 Uniformierten. Erst vor wenigen Tagen wurde die Fortexistenz der Ausbildungsmission infrage gestellt: Mit Berichten, wonach Malis Militärregierung und die Söldnergruppe „Wagner“ kurz vor der Unterzeichnung eines Vertrags stünden, der den Einsatz von rund 1000 russischen Privat-Legionär:innen in dem westafrikanischen Krisenstaat vorsehe. Außer für den persönlichen Schutz des Militärmachthabers sollen sie auch für das Training der malischen Kräfte zuständig sein.
Ausgeschlossen, dass die EUTM-Mission unter solchen Voraussetzungen fortgesetzt werden könne, heißt es sowohl in Paris wie in Berlin. Womöglich habe General Assimi Goïta mit dem „Wagner“-Manöver nur die Franzosen zum Bleiben zwingen wollen, spekulieren Expert:innen: Der Putschistenchef hat ein zweites Afghanistan wie kein anderer zu fürchten. Allerdings war EUTM schon früher ins Gerede gekommen. Nicht nur, dass die europäischen Ausbilder:innen nicht verhindern konnten, dass das malische Militär gleich zweimal innerhalb eines Jahres eine Regierung stürzte: Auch die trainierten Truppen selbst machen aus ganz falschen Gründen auf sich aufmerksam.
Es fehlt ein Überwachungssystem
Statt die Bevölkerung zu schützen, wird ihnen vorgeworfen, immer wieder Blutbäder anzurichten: Nach Recherchen des UN-Informationsdienstes „The New Humanitarian“ bringen die EU-trainierten Landser im Verlauf des Konflikts mehr Zivilist:innen um als die Dschihadisten.
Offenbar haben die Europäer:innen keine Vorkehrungen getroffen, um Menschenrechtsübertretungen ihrer Schüler:innen aufzuspüren oder zu ahnden: Ein entsprechendes Überwachungssystem sei nicht Teil seines Mandats, sagte der damalige EUTM-Chef, Brigadegeneral Luis Gracia Herreiz, im April dieses Jahres gegenüber „The New Humanitarian“.
Der IS nutzt die Unzufriedenheit aus
Immer lauter werden auch die Stimmen, die eine bloß militärische Bekämpfung des „Terrorismus“ infrage stellen. Vor allem in Afrika gründe sich der islamistische Extremismus auf die Klagen der Bevölkerung, die sich von korrupten oder nicht funktionierenden Regierungen vernachlässigt fühlten, meint Martin Ewi vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS) im südafrikanischen Pretoria: „Der Islamische Staat weiß diese Unzufriedenheit zu seinen Zwecken auszunutzen.“ Dass die Geberländer in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Teile ihrer Entwicklungsgelder in den sogenannten Sicherheitsbereich fließen ließen, habe die prekäre Lage der Bevölkerung noch weiter verschlimmert, meint Ewi. Ein Teufelskreis, der auch mit der „Neutralisierung“ eines Extremistenführers nicht aus der Welt geräumt ist. (Johannes Dieterich)