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UN-Klimakonferenz COP26: Der Geist von Glasgow

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Von: Jörg Staude

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Demonstranten nehmen an einer von der „Cop26 Coalition“ organisierten Demonstration in Glasgow teil und fordern globale Klimagerechtigkeit.
Was „Net Zero 2050“, also netto null Emissionen in knapp 30 Jahren, wirklich bedeutet und für Folgen hat, dämmert vielen erst langsam. © Andrew Milligan/dpa

Auf der Konferenz ist überall zu spüren, dass die Klimapolitik einen großen Schritt getan hat. Doch auch die Gaslobby und andere traditionelle Bremser reden mit.

Glasgow - Der erste Tagesordnungspunkt an jedem Klimagipfeltag ist ein Corona-Selbsttest. Das Wattestäbchen tief in die Nase tunken, mit dem Teströhrchen ein paar Tropfen für den Teststreifen erzeugen. Dann die Kennnummer des – hoffentlich negativen – Tests in den persönlichen Account beim NHS, dem britischen Gesundheitssystem, eingeben. Die Bestätigung kommt per SMS. Nur wenn man diese zusammen mit der Teilnahmekarte, dem Badge, vorzeigt, kommt man durch die Kontrolle am ziemlich massiven Zaun, der das Glasgower Konferenzzentrum umgibt.

Das Konferenzzentrum hat den Charme von Berliner Messehallen. Die Gipfel-Planer:innen konnten nicht ahnen, dass die COP26, die 26. Weltklimakonferenz, der größte Klimagipfel aller Zeiten werden würde, mit knapp 40.000 Beteiligten.

In den Gängen herrscht oft drangvolle Enge. Menschen sitzen mit ihren Laptops auf dem Boden. Maske zu tragen ist Vorschrift. In den Konferenzsälen ist nur rund ein Drittel der Plätze freigegeben. Die Organisator:innen tun alles, damit die COP zu keinem Spreader-Ereignis wird. Alle sind glücklich, sich endlich wieder leibhaftig treffen zu können. Das Bundesumweltministerium schrieb in einem Bericht über die erste Woche in Glasgow: Es zeige sich deutlich, dass „die persönliche Begegnung für viele Klimaexpert:innen bei dieser physischen COP in Glasgow nach 1,5 Jahren durch nichts zu ersetzen ist“.

Klimakonferenz in Glasgow: Erlaubte Proteste kommen eher nett daher

Der Glasgower Gipfel ist aber nicht nur ein großes Wiedersehen, er markiert auch eine Zeitenwende. Denn seit dem letzten Klimagipfel 2019 in Madrid hat die Klimapolitik einen Riesenschritt voran getan. Lange Zeit lauteten die Klimaziele vieler Staaten so oder so ähnlich: Bis Mitte des Jahrhunderts wollen wir ungefähr 80 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen – und was wir dann mit dem Rest machen, das wird sich schon finden. Inzwischen ist vollkommen klar: Will die Welt die Klimakrise noch einigermaßen in den Griff bekommen, muss ab Mitte des Jahrhunderts der ganze Globus klimaneutral leben und wirtschaften. „Net Zero 2050“ – alles zurück auf null. Dieser Geist von Glasgow ist allenthalben zu spüren.

Bei den Pressekonferenzen, wo sich Expert:innen plötzlich fragen, wie klimaneutrale Landwirtschaft funktionieren kann. Oder auf den sogenannten Side Events, von denen es jeden Tag viele Dutzend gibt und auf denen Politiker:innen, Thinktanks oder Initiativen eine geradezu unvorstellbare Vielfalt präsentieren: Rechte indigener Völker beim Klimaschutz, Finanzierung einer grünen, widerstandsfähigen und inklusiven Covid-19-Erholung in Asien und im Pazifik; die Umgestaltung von Städten. Der Gipfel ist jünger und diverser als früher. Damit jede und jeder zu Wort kommt, sind auch die Debatten bei den Side Events oft streng geregelt. Jede Politikerin, jeder Aktivist darf nur drei Minuten reden und auf Rückfragen nur zwei Minuten antworten.

Gestattete Proteste im Centre kommen eher nett daher. Da darf schon mal die „Break Free From Plastic“-Initiative auftreten und „Act now!“ rufen. Die Jugendlichen von „Fridays for Future“, die am Mittwochmorgen überraschend den deutschen Pavillon besetzten, hatten ihre Aktion wohlweislich nicht angemeldet – und durften auch nicht lange bleiben.

Klimakonferenz in Glasgow: Was null Emissionen in 30 Jahren bedeuten, dämmert vielen erst

Schärfere Proteste werden draußen vor dem äußeren Zaun abgehalten. Da ist dann auch die Klimabewegung in all ihren Facetten präsent, begleitet von Polizist:innen in enormer Zahl. Teilweise sind mehr Aufpassende als Demonstrierende anwesend.

Enge herrscht im Konferenzzentrum auch bei den Pavillons der Länder und Organisationen. Wenige Schritte nur, und man kommt vom Stand des pazifischen Inselstaats Tuvalu, der sich mit drei Eisbären in roten Rettungswesten präsentiert, zum russischen Pavillon. Dort wirbt die Atombehörde Rosatom mit dem Slogan „Nuclear for a better life“.

Dass die Welt zu retten jetzt das „Next Big Thing“ ist, haben die Unternehmen und ihre Lobbys längst begriffen. Alles ist jetzt sustainable, also irgendwie nachhaltig. So lädt das „Forum der Gas exportierenden Länder“ zu einer Veranstaltung zum Thema „Erdgas: Energie für nachhaltige Entwicklung“. Da ist Erdgas keine fossile Energie mehr, sondern Geburtshelfer der sauberen neuen Klimawelt.

Was „Net Zero 2050“, also netto null Emissionen in knapp 30 Jahren, wirklich bedeutet und für Folgen hat, dämmert vielen erst langsam. In einem Pavillon zum weltweiten Moorschutz muss sich der in Bayern für die Renaturierung der Moore zuständige Regierungsbeamte etwa dafür rechtfertigen, dass sein reiches Bundesland bis zur Mitte des Jahrhunderts nur etwa ein Drittel der trockengelegten Moore wiedervernässen und so deren Emissionen stoppen will. Warum nicht 100 Prozent?, wird er gefragt. Das ginge doch nicht, ist die Antwort, schließlich sei zum Beispiel der Flughafen München auf einem ehemaligen Moor gebaut. Soll München etwa seinen Airport abreißen? Würde man die Klimademonstrant:innen vor dem Zaun fragen, würden sie sagen: klar, warum nicht? Keine Flüge mehr und dafür ein intaktes Moor – das wäre fürs Klima eine Win-win-Situation.

Bei ungemütlichem Wetter wird in Glasgow die Begrenzung der Klimakrise verhandelt
Bei ungemütlichem Wetter wird in Glasgow die Begrenzung der Klimakrise verhandelt © AFP

Brasilien ist auf Klimakonferenz in Glasgow mit größter Delegation vertreten

Zwischen diesen Polen bewegt sich die Klimapolitik in Glasgow. Hart verhandelt wird natürlich auch. Die Nationen, die beim Klimaschutz eher zu den Bremsern zählen, reisten wie üblich mit den stärksten Delegationen an.

Brasilien, das sich den Schutz des Regenwaldes als CO2-Senke abkaufen lassen will, am liebsten doppelt, stellt mit knapp 500 Personen die größte Delegation eines einzelnen Landes. Ebenfalls um die 500 Leute sollen aus der fossilen Lobby akkreditiert sein. Nur insgesamt 460 Delegierte kommen aus jenen acht Ländern, die besonders stark von der Klimakrise betroffen sind: Mosambik, Bangladesch, Pakistan, Philippinen, Haiti, Bahamas. Die reinen Zahlen sagen aber zum Glück nichts über die tatsächliche Dynamik der Verhandlungen aus. So gibt es Wissenschaftsnetzwerke, die ihr Auftreten in ihren nationalen Delegationen abstimmen. Es gibt mehrere Tausend zivilgesellschaftliche Beobachter:innen, die ihrerseits Medien und Politik informieren. So ein Klimagipfel ist nicht nur einmalig groß und mächtig, sondern auch unberechenbar lebendig. (Jörg Staude)

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