Umweltministerin Steffi Lemke: Artenkrise mindestens so dramatisch wie Klimakrise

Die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will einen Hauptaugenmerk ihrer Arbeit auf den Artenschutz legen.
Berlin – Die Grünen und der Tier- und Artenschutz galten einmal als eng miteinander verwoben. Teile der Bewegung, die über die außerparlamentarischen Opposition mit den Grünen in die Parlamente einzog, kamen direkt aus dem Tier- und Artenschutz, andere Teile hatten zumindest enge Berührungspunkte. Heute, so scheint es, hat sich das Verhältnis deutlich rationalisiert. Aus dem Wahlkampf ist nicht eine Grüne Forderung hängengeblieben, welche auf mehr Tierschutz oder den Erhalt des Artenschutzes zielte.
Klimaschutz, Kindergrundsicherung, mehr Rechte für Minderheiten: Das waren die aktuellen Verkaufsschlager der Grünen vor der Bundestagswahl und auch aus den Koalitionsverhandlungen ist wenig darüber nach außen gedrungen, dass die Grünen sich besonders energisch für Tiere eingesetzt hätten. Im Gegenteil: Etwas mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl stimmten die Grünen im Bundesrat gemeinsam mit ihren jeweiligen Koalitionspartnern dafür, die qualvollen und zuvor illegalen Haltungsbedingungen von Sauen inklusive Kastenstandhaltung für weitere acht Jahre, für die Umstellung des Abferkelbereichs sogar 15 Jahre, zu legalisieren.
Kastenstandhaltung bedeutet, dass Sauen eng an eng während sie trächtig sind, bei der Geburt und dem Stillen ihrer Ferkel in Metallkäfige eingepfercht werden. Diese sogenannten Kastenstände sind maximal 70 Zentimeter breit und etwa zwei Meter lang. In der erzwungenen Seitenlage ist es den Sauen dort nur möglich auf den Bauch einzuknicken, entspannt auf die Seite legen können sie sich nicht. Bereits seit 1988 verbietet ein Gesetz diese Tierquälerei, was aber seitens der Bundesregierungen stets weitgehend ignoriert wurde, um den Export von Billigfleisch anzukurbeln.
Trotz gerichtlich bestätigter Tierquälerei: Grüne stimmten für Weiterführung der Kastenstandhaltung
Den Grünen, der einstigen Tierschutzpartei also, war dies genauso wenig einen Aufschrei wert, wie ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom Jahr 2015, demnach die Kastenstandhaltung in Deutschland gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verstoße, da den Sauen zu wenig Platz für Bewegung bleibt. Anstatt also bereits seit 2015 lautstark auf die gerichtlich bestätigte Tierquälerei zu verweisen, stimmten die Grünen fünf Jahre später dafür, sie für eine respektive zwei Generationen per Gesetz zu verlängern.
Dies hatte einen Aufschrei aus den Reihen von Tierschutz- und Tierrecht-Organisationen zufolge, der Verein „Tierärzte für eine verantwortbare Landwirtschaft“ etwa sprach von einem „faulen Kompromiss“. In einem fast entschuldigend anmutenden Video verteidigte Robert Habeck die Zustimmung der Grünen, Motto: Besser spät aussteigen als nie aussteigen. Seither ist es ruhig geworden um die Grünen im Zusammenhang mit Tier- und Artenschutz.

Grüne Bundesumweltministerin Lemke will den Artenschutz stärken
Zumindest beim Artenschutz will die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke das nun ändern. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte die ehemals langjährige Bundesgeschäftsführerin der Grünen: „Wo große Veränderungen nötig werden, ohne dass Konsequenzen des Nichtstuns schon spürbar sind - da ist es immer schwer, das in politisches Handeln zu übersetzen.“ Zwar sei man nun beim Klimaschutz an diesem Punkt angekommen, beim Naturschutz hingegen noch nicht. Alarmierend fügte Lemke hinzu: „Die Artenkrise ist der nächste große Kampf. Sie ist mindestens so dramatisch wie die Klimakrise.“ Beide bedrohten „unsere Lebensgrundlagen“, fügte Lemke hinzu.
Bezüglich des Tierschutzes klang Lemke zurückhaltender. Vogelschützern etwa, die vor den Gefahren von Windrädern warnen, schrieb Lemke ins Stammbuch: „Es gibt Storchenschützer, die über Stromleitungen klagen. Große Fensterscheiben gelten als gefährlich für Vögel - und sind es auch, ebenso Autos und Katzen. Baut deshalb jemand Fenster aus? Oder verbietet Katzen?“ Über Verbesserungen in der Haltung, dem Transport und der Unterbringung von Nutztieren, wie etwa Schweinen, verlor Lemke im Interview mit der Süddeutschen kein Wort. (Mirko Schmid)