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Die Schwierigkeit für ukrainische Medien, neutral zu bleiben

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Im polnischen Krakau erscheint extra eine Zeitung in ukrainischer Sprache für die Geflüchteten. Wojciech Grabowski/SOPA/ZUMA Press Wire/dpa
Im polnischen Krakau erscheint extra eine Zeitung in ukrainischer Sprache für die Geflüchteten. Wojciech Grabowski/SOPA/ZUMA Press Wire/dpa © picture alliance/ZUMA Press/dpa

Die Ukraine kämpft gegen Russland um ihr Überleben – und damit auch für die Meinungsfreiheit. Von Denis Trubetskoy.

Kiew – Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat auch den Alltag der ukrainischen Medienschaffenden verändert. Bereits in den ersten Stunden des Krieges verständigten sich die größten Fernsehsender des Landes auf ein gemeinsames Programm – Nachrichten als eine Dauersendung.

Technische und logistische Gründe zwangen sie dazu: Das Personal musste in die Westukraine, meist nach Lwiw, gebracht werden. Keine TV-Anstalt konnte mehr durchgehend alleine senden. Mittlerweile wird der TV-Marathon „Gemeinsame Nachrichten“ von fast allen wichtigen Sendern produziert und ausgestrahlt.

Printmedien spielten bereits vor dem Krieg keine große Rolle mehr. Neben Fernsehen sind vor allem Online-Nachrichtenseiten die wichtigste Informationsquelle für die Menschen im Land. Im Krieg mussten auch diese ihre Arbeitsprozesse anpassen. „Der in Kiew gebliebene Teil unserer Redaktion hat in einer Kellerbar im Bezirk Podil gearbeitet, wo sie auch einen neuen Podcast aufgezeichnet haben. Dort haben unsere Mitarbeiter zudem für die Armee gekocht“, erzählt Marija Schartowska, Journalistin der Webseite Babel.ua. Mittlerweile ist die Bar selbst wieder geöffnet und die Kollegen und Kolleginnen, die sich vor dem Krieg oft eine Bar in der Redaktion gewünscht hatten, haben dort ein kleines Büro.

Ukraine: Die teuren Fernsehsender werden fast alle von Oligarchen finanziert

Wie geht aber die ukrainische Presse mit dem blutigen Krieg Russlands um? Sehen sich die Journalistinnen und Journalisten als Informationssoldaten und -soldatinnen? „Nein, das nicht. Unsere Aufgabe im Moment ist es, pausenlos zu arbeiten. Und man hat dabei immer das Gefühl, nicht genug zu machen“, sagt Schartowska. „Nachdem ich mir die Bilder aus Butscha und Borodjanka angeschaut habe, konnte ich mich zwei Tage lang nicht zusammenreißen. Das ist eben doch die größte Schwierigkeit: Für uns ist es sehr schwer, neutral zu bleiben, weil die Ukraine Konfliktpartei ist.“

Schwartowskas Medium, Babel.ua, ist abgesehen von den heutigen Ereignissen ein gutes Beispiel für die Tendenzen der insgesamt positiven Entwicklung der ukrainischen Medien seit der Maidan-Revolution 2014. Während die teuren Fernsehsender fast ausschließlich von unterschiedlichen Oligarchen finanziert werden, wurde das Startup 2018 zunächst ebenfalls vom umstrittenen Großunternehmer Ihor Kolomojskyj unterstützt. Die unabhängige Berichterstattung beendete die Zahlungen des Unternehmers rasch. Als die Seite vor dem Aus stand, wurde sie von mittelständischen ukrainischen Unternehmern übernommen.

Die Corona-Krise setzte den Online-Medien zu, der Werbemarkt war stark eingebrochen. Unabhängige Seiten wie Hromadske.ua überlebten mit westlichen Fördergeldern. Andere führende Webseiten wie NV.ua und Ukrajinska Prawda erhielten Unterstützung des tschechischen Investitionsunternehmers Tomáš Fiala.

Medien in der Ukraine

Nach der jüngsten Zählung gibt es in der Ukraine zumindest zwei Dutzend Zeitungen oder Online-Medien sowie ein gutes halbes Dutzend Magazine. Manche erscheinen in ukrainischer Sprache, manche in russischer – und zumindest zwei hart Konkurrierende in englischer Sprache: die Kyiv Post und der Kyiv Independent. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs mussten einige Medien ihr Erscheinen komplett ins Internet verlagern, weil Büros, Studios und Druckereien sich jederzeit in einem Kampfgebiet wiederfinden konnten.

Die Konkurrenz zwischen Post und Independent wirft ein Schlaglicht auf die Medienentwicklung der Ukraine: 2021 übernahm ein neuer Investor die defizitäre, regierungskritische Kyiv Post und wollte „eine positivere Sicht auf die Ukraine“ durchsetzen. Als die Redaktion sich wehrte, wurde die Chefin des Senders „Kanal Odessa 7“ aus dem gleichen Hause mit der Errichtung einer Parallel-Redaktion betraut, die regierungsfreundlicher berichten würde. Die alte Kyiv-Post-Redaktion gründete sich daraufhin als Kyiv Independent neu und ist nun eine der verlässlicheren heimischen Informationsquellen im Abwehrkampf ihrer Nation – online. rut

Ukraine: Als die Sender noch Präsident Selenskyj angriffen

In der Fernsehwelt entstand in den Jahren nach 2014 zwar der solide öffentliche Sender UA: Perschyj mit einem von Medienexperten dominierten Aufsichtsrat. Doch die Konkurrenz ist hart. Der Sender kann mit den von den Oligarchen wie Rinat Achmetow, Ihor Kolomojskyj, Wiktor Pintschuk oder auch Ex-Präsident Petro Poroschenko finanzierten TV-Anstalten kaum mithalten.

Der aus Donezk stammende Achmetow ist der reichste Mann der Ukraine – und hat mit Ukrajina und Ukrajina 24 jeweils den quotenstärksten Sender im allgemeinen und im Nachrichtenbereich. Noch vor wenigen Monaten griffen seine Sender den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hart an. Hintergrund waren wirtschaftliche Interessen Achmetows.

Heute wirken die Achmetow-Sender an erster Stelle bei den Dauernachrichtensendungen zum Krieg mit. Die Sender Poroschenkos, des Politikrivalen von Selenskyj, nehmen daran nicht teil, obwohl sie seit Kurzem dazu gesetzlich verpflichtet sind. Sie wurden deshalb kurzerhand aus dem digitalen Sendebetrieb verbannt.

„Seit dem Beginn des Krieges gab es auf diesen Sendern keine bedeutende Kritik an den Machthabern“, erläutert Andrij Janizkyj, Chef des Journalismus-Zentrums der Kyiv School Of Economics. „Teile der Poroschenko-Partei sehen aber jegliche Verhandlungen mit Russland kritisch, so hatte das Büro von Selenskyj wohl Angst vor möglicher Kritik. Am Ende wird man wohl doch eine Vereinbarung mit Russland unterschreiben müssen.“

Janizkyj, der auch für einen anderen Sender moderiert, der nicht am Nachrichten-Marathon teilnimmt, sieht das gemeinsame Programm kritisch: „Es ist nett gemeint, aber ich kann mich dadurch kaum informieren. Es ist meist ein langer Bericht nur über die Erfolge.“

Die Entwicklung in der Ukraine könnte dem Modell von Israel folgen

Auch Marija Schartowska sieht dies ähnlich: „Mir fehlen die Informationen etwa darüber, wo man humanitäre Hilfen bekommen kann. Außerdem bin ich dagegen, dass beim Nachrichten-Marathon Menschen mitmachen, die früher für die prorussischen Sender gearbeitet haben.“

Bei allen Schwierigkeiten und Problemen bleibt die Medienvielfalt selbst in Zeiten des russischen Krieges für die Region erstaunlich. Wie sieht nun aber die Zukunft aus? Marija Schartowska von Babel.ua sorgt sich vor allem wegen der Finanzierungsprobleme: „Wir sind aktuell sehr auf die Spenden unserer Leser angewiesen, weil es den Werbemarkt gar nicht mehr gibt. Von dem, was ich von den Machthabern höre, könnte es für die Oligarchensender Unterstützung aus dem Staatshaushalt geben. Für uns aber nicht.“

Medienexperte Andrij Janizkyj glaubt zudem, dass die Entwicklung der Ukraine dauerhaft dem Modell von Israel folgen könnte, wo sehr strenge Regeln über Berichterstattung militärischer Geschehnisse herrschen. „Doch die Ukraine ist ein mental freies Land“, sagt er mit einem Lächeln. „Oft sogar ein anarchistisches Land. Daher mache ich mir trotz allem keine größeren Sorgen um die Medienfreiheit im Land.“ (Denis Trubetskoy)

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