Gegen „Putins Bluthund“ und als „Kanonenfutter“: Tschetschenen kämpfen für und gegen Putin

Tschetschenen kämpfen im Ukraine-Krieg auf zwei Seiten. Der Kadyrow-Miliz stehen nur wenige anti-russische Soldaten gegenüber. Was bewegt sie?
Grosny – Tschetschenien ist eine autonome Teilrepublik Russlands. Es liegt im Süden Russlands, grenzt an Georgien und ist knapp 1000 Kilometer von der aktuellen Front im Ukraine-Krieg entfernt. Dennoch ist Tschetschenien in den Krieg involviert – nicht nur durch Langzeit-Präsident Ramsan Kadyrow, der als „Putins Bluthund“ Stimmung gegen die Ukraine macht. Es gibt auch Tschetschenen, die an der Seite Kiews kämpfen.
„Wir wollen Freiheit“: Deshalb kämpfen Tschetschenen gegen Russland
Pro-ukrainische Tschetschenen sind rar. Die Einschätzungen über die Kämpfer an der Seite der Ukraine gehen von ein paar Dutzend bis zu 200. Tschetschenische Kämpfer selbst sprechen von „hunderten Männern“. Ihre Motive liegen in der Ablehnung Russlands – und des eigenen Regimes. „Wir kämpfen nicht nur um des Kämpfens willen“, sagte ein tschetschenischer Soldat namens Maga im November dem Spiegel. „Wir wollen Freiheit und Unabhängigkeit auch für unser Land erreichen.“ Wer mit den Medien spricht, wählt häufig einen Decknamen, aus Angst vor Verfolgung.
Die Tschetschenen spekulieren nach eigener Aussage auf eine politische Krise Russlands, sollte die Ukraine den Krieg gewinnen. Dann könnte womöglich auch das Kadyrow-Regime in Tschetschenien gestürzt werden. Diese Motivation in den Krieg zu ziehen, beobachtet auch Harold Chambers, ein Analyst vom Foreign Policy Research Institute: „Der erste Schritt in ihren Köpfen ist es, Russland zu besiegen und Tschetschenien wieder zurückzuerobern“, sagt er dem Portal Euronews. „Sie wollen Tschetschenien von der russischen Herrschaft befreien“.
Einige von ihnen kämpfen schon seit 2014 an der Seite der Ukraine. „Die Ukraine ist mein Haus“, sagte ein Tschetschenenkämpfer dem Deutschlandfunk im Jahr 2015. „Sie hat mich und andere tschetschenische Flüchtlinge aufgenommen, wie andere europäische Länder auch. So konnten unsere Kinder vor dem grausamen Morden des Kreml gerettet werden.“ Er meinte: „Dass ich für die Freiheit der Ukraine und für die Freiheit meines Volkes kämpfe – darin sehe ich keinen Widerspruch. Beides ergänzt sich.“ Unter Umständen müssen stehen sie nun ihren eigenen Landsleuten auf dem Schlachtfeld gegenüber.
An der Seite von „Putins Bluthund“: Kadyrow schickt Kämpfer in die Ukraine
Dann gibt es aber auch die andere Seite. Tschetschenen-Machthaber Kadyrow profilierte sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs als einer der schärfsten Befürworter des Feldzugs. Er wolle sich bei Wladimir Putin beliebt machen, meinen Beobachter. Seit Oktober agiert er – von Putin berufen – als Generaloberst der russischen Streitkräfte. Kadyrow schickte tschetschenische Einheiten in die Ukraine und prahlte sogar damit, dass seine minderjährigen Söhne an der Front kämpften. Ob das stimmt, ist unklar. Auf Telegram veröffentlichte er Videos der angeblichen Rückkehr seiner Kinder. Zusammen mit ukrainischen Kriegsgefangenen.
Der für seine Brutalität bekannte Kadyrov, auf dessen Konto mehrere Auftragsmorde gehen sollen, unterstützt Russland im Krieg. Nicht zum ersten Mal. Im Tschetschenien-Krieg verhalf er Russland zum Sieg, als er Aufstände vor Ort niederschlug. Das Streben nach der Unabhängigkeit Tschetscheniens war passé. In der Folge profitierten Kadyrow-treue Tschetschenen auch von Russland. „Sie wurden vom russischen Regime vereinnahmt“, sagte Tschetschenien-Forscher Jean-Francois Ratelle von der Universität Ottawa dem Portal Euronews. „Sie haben Waffen, Arbeitsplätze und Milliarden von Dollar vom Staat erhalten.“ Der russische Geheimdienst FSB soll Kadyrows Milizen unterstützen.
Kadyrow steht klar an der Seite Russlands, kritisiert aber auch das russische Militär. So bezeichnete er die russische Armeeführung regelmäßig als zu weich – oft im Verbund mit dem Finanzier der privaten Kampfeinheiten der „Gruppe Wagner“, Jewgeni Prigoschin.

Tschetschenen-Kämpfer machen „Drecksarbeit“ für Moskau: „Wie Kanonenfutter behandelt“
Wie viele tschetschenischen Kämpfer in der Ukraine sind, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von rund 10.000 aus. Immer wieder gibt es Meldungen über neue „Freiwillige“ aus Tschetschenien. Meist kommen diese Berichte von Kadyrow selbst. Klar ist: Tschetschenische Kämpfer beteiligten sich an den Gefechten in Mariupol oder Sjewjerodonezk. Für den Wissenschaftler Ratelle sind die Männer „keine Elitegruppen“, sondern würden von Russland als „Arbeitskräfte“ betrachtet. So sei es für Russland angenehmer, wenn ein Tschetschene im Krieg fällt, als ein ethnischer Russe: „Sie wurden eine Zeit lang wie Kanonenfutter behandelt“.
Die prorussischen Tschetschenen würden die „Drecksarbeit“ für Putin verrichten. Berichten zufolge werden Tschetschenen eingesetzt, um unzufriedene russische Soldaten zu disziplinieren und sogar Deserteure hinzurichten. „Sie erhalten Missionen, bei denen man gegen die Kriegsgesetze verstoßen kann“, sagte Ratelle Euronews. „Sie neigen dazu, sich mehr wie Kriminelle als wie Soldaten zu verhalten.“ Laut ukrainischem Geheimdienst exekutierten Tschetschenen etwa mehrere übergelaufene russische Soldaten. (as)