„Risse“ in Ramstein: „Kleine Gruppe“ pocht auf mehr Ukraine-Hilfe - Scholz unter Druck

Der Westen demonstriert Einigkeit in puncto Ukraine-Hilfe. Bei Waffenlieferungen prescht aber vor allem ein Quartett vor – und stichelt immer wieder gegen Deutschland.
Ramstein-Miesenbach – Wie die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützt wird, entscheidet sich maßgeblich in Rheinland-Pfalz – an der Ramstein Air Base, zehn Kilometer westlich von Kaiserslautern. Hier, am EU-Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte, kommen die westlichen Verbündeten regelmäßig zusammen, um über die Unterstützung der Ukraine zu beraten. Die USA leiten das Treffen von mehr als 40 Staaten, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist für Deutschland dabei.
Wie sein Ministerium selbstbewusst auf seiner Website schreibt, „ist Deutschland führendes Unterstützerland“ für die Ukraine. Außerdem sei die „Geschlossenheit des Westens gegenüber Russlands so groß wie nie“. Doch ist das wirklich so? Das jüngste Ramstein-Treffen Ende April lässt Zweifel sowohl an Deutschlands Führungsrolle als auch der generellen Einheit aufkommen.
Uneinigkeit bei Ukraine-Unterstützung
So ist sich der Westen keineswegs einig, wenn es um die Nato-Perspektive der Ukraine oder die Kampfjetfrage geht. Bei den Gesprächen am 21. April entbrannte ein Streit über die Anbindung der Ukraine an das Verteidigungsbündnis. Die Bundesregierung wiegelte bei den entsprechenden Forderungen ab. Eine Entscheidung über einen möglichen Nato-Beitritt der Ukraine stehe momentan nicht an, ließ Pistorius mitteilen. Im Vordergrund stehe jetzt die weitere militärische, finanzielle und humanitäre Unterstützung des Landes. Doch auch dabei gibt es Uneinigkeit.
Bisher wurde die Lieferung von in der Sowjetunion hergestellte MiG-29-Kampfjets genehmigt, Kiew pocht aber auch auf moderne Kampfjets „nach Nato-Standard“ (etwa F-16-Kampfjets), wie der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow nach den mehrstündigen, nicht-öffentlichen Ramstein-Gesprächen betonte.
Es ist ein ständiges Hin und Her, ein diplomatischer Balanceakt: Die Ukraine fordert mehr und wuchtigere Waffen, der Westen wägt ab, inwiefern das realisierbar ist. In dieser Frage agieren osteuropäische Länder wie Polen oder die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland offensiver als etwa Deutschland. Sie spüren die Bedrohung Russlands unmittelbarer. Laut dem Magazin Politico ist es vor allem jene „kleine Gruppe“ von Unterstützern, die die Ukraine derzeit vor den russischen Invasoren beschütze und auf mehr Waffenlieferungen dränge.
Gemessen am eigenen Bruttosozialprodukt gibt das Quartett am meisten Hilfe für die Ukraine aus. Das geht aus dem „Ukraine Support Tracker“ des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hervor.
Militärhilfen für die Ukraine: Anteil BIP in Prozent
Lettland | 1,2 % |
Estland | 1,1 % |
Litauen | 0,9 % |
Polen | 0,6 % |
Absolut gesehen hat Deutschland 3,6 Milliarden Euro an militärischer Hilfe für die Ukraine zugesagt (Stand: Ende Februar 2023). Das entspricht nach den USA und Großbritannien Rang drei. Aber: Im Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten und dem Bruttoinlandsprodukt landet die Bundesrepublik nur auf Platz 16. „Schlechter“ sind auch Führungsnationen wie Spanien oder Frankreich (je 0,1 % des BIP).
Deutschland | 0,2 % |
Die Investitionen des Baltikums begründen sich auch in der Vergangenheit. Die Ex-Sowjetstaaten Estland, Lettland und Litauen orientierten sich seit dem Zerfall der UdSSR 1991 zusehends gen Westen – was Russland missfällt. Seit 2004 sind die Staaten Mitglied in EU und Nato. Das Militärbündnis stärkte daraufhin die Nato-Ostflanke zur russischen Grenze – auch Bundeswehrsoldaten sind dort aktiv. Besorgt ob der Nähe zum Krieg zeigt sich auch Polen, das neben Belarus und die Ukraine auch an die russische Exklave Kaliningrad grenzt.
„Risse“ in Ramstein-Kreis? Quartett macht Druck auf Deutschland
Dementsprechend machen diese Länder auch Druck auf Deutschland. Die Bundesrepublik sollte „mehr Waffen, mehr Munition und mehr Geld an die Ukraine schicken, weil es das mit Abstand reichste und größte Land ist“, kritisierte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki. Im Februar attestierte der Politiker Deutschland „Egoismus“ im Ukraine-Krieg - und in der Frage, wie die Finanzierung der Waffenlieferungen gerecht geschultert werden kann. Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins forderte im März im Spiegel: „Deutschland sollte nicht nur Europas Wirtschaft anführen, sondern auch seine Verteidigungsfähigkeit.“
Gleichzeitig stellt man sich im Westen zusehends Fragen wie: Was macht die Unterstützung der Ukraine mit unserer eigenen Wehrfähigkeit? So schrumpft etwa der Panzerbestand der Bundeswehr. Auch, weil Waffen an Kiew abgegeben werden – und gleichzeitig die eigene Bestellung stockt. Es gehe um die „Frage der Nachhaltigkeit“, betonte Finnland am Rande des jüngsten Treffens. „Wir müssen nicht nur die Ukraine unterstützen, sondern auch unsere eigenen Bestände aufstocken“, zitierte Politico einen nicht namentlich genannten europäischen Diplomaten. Daher sei bereits von „einigen Rissen“ in der Unterstützergruppe die Rede.
Zudem geht es auch um die Frage einer möglichen Eskalation sowie das generelle Stimmungsbild der Bevölkerung. Der von Kritikern als zögerlich betitelte Kurs von Kanzler Olaf Scholz begründet sich auch in der Stimmung der Bevölkerung. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sah eine Mehrheit der Deutschen eine Kriegsbeteiligung durch die Waffenlieferungen. Gleichzeitig finden 56 Prozent der Befragten die Lieferung etwa von Panzern richtig, 39 Prozent sprechen sich dagegen aus, wie aus dem am 29. April veröffentlichten ZDF-„Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen hervorgeht. (as)