1. Startseite
  2. Politik

Ukraine-Konflikt: Völkermord im Donbass?

Erstellt:

Von: Ulrich Krökel

Kommentare

Ein ukrainischer Soldat schaut aus einem Unterstand im Zentrum des Dorfes hervor. Die Separatistenführer in der Ostukraine haben eine umfassende militärische Mobilisierung angeordnet, da im Westen die Befürchtung wächst, dass Russland eine Invasion des Nachbarlandes plant.
Ukraine-Konflikt: Wird im Donbass ein Völkermord verübt? (Archivbild) © Oleksandr Ratushniak/dpa

Der Ukraine-Konflikt kommt weiter nicht zur Ruhe. Es gibt jedoch keine Hinweise, die Moskaus Vorwurf gegenüber Kiew stützen. Der Faktencheck.

Kiew – Diese Szene zwischen Wladimir Putin und Olaf Scholz wird in Erinnerung bleiben. Im Schlagabtausch über Krieg und Frieden verweist der russische Präsident auf die Nato-Luftangriffe in Serbien 1999. Dort habe der Westen „Krieg geführt, mit Bomben auf Belgrad“. Der Bundeskanzler kontert: „Es musste ein Völkermord verhindert werden.“ Das will Putin so nicht stehen lassen: „Was im Donbass passiert, das ist ein Genozid.“

LandRussland
HauptstadtMoskau
PräsidentWladimir Wladimirowitsch Putin
Bevölkerung144,1 Millionen (2020)

Was ist dran an dieser Behauptung? Die Frage ist extrem wichtig. Denn ein Genozid gilt als legitimier Grund für ein militärisches Eingreifen. In der einschlägigen UN-Konvention ist Völkermord definiert als Versuch, eine „nationale, ethnische oder religiöse Gruppe zu zerstören“.

Im Donbass geht es nach Moskauer Lesart um Russ:innen oder russischsprachige Menschen, die nach Autonomie streben. Die ukrainische Regierung unterdrücke diese Gruppe und drohe mit Vernichtung. Der Beginn des Kriegs in den Regionen Donezk und Lugansk 2014 war aus Sicht des Kreml eine Folge legitimen Widerstands gegen ein „faschistisches Regime“ in Kiew.

Ost-Ukraine: Ein von Russland inszeniertes Referendum

Einem Faktencheck hält das nicht stand. Eine breite Autonomiebewegung gab es 2014 nicht. Vielmehr nutzten separatistische Gruppen die Schwäche der Kiewer Übergangsregierung zu einer Machtübernahme. Die Führungsfiguren waren meist Russen mit Verbindungen zum Militärgeheimdienst GRU. Sie inszenierten ein Referendum und schufen die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, die weltweit keine Anerkennung fanden.

Die ukrainische Armee begann Ende Mai 2014 eine „Anti-Terror-Operation“. Die Offensive mündete in den Donbass-Krieg. Die Separatisten konnten mit russischer Militärhilfe ihre Gebiete halten. Das Abkommen von Minsk vom Februar 2015 schuf eine „Kontaktlinie“, die in Wirklichkeit eine Front ist. Denn die Waffenruhe wird von beiden Seiten immer wieder gebrochen. De facto herrscht in der Region bis heute ein Krieg, der rund 14.000 Todesopfer forderte.

Im Osten der Ukraine: Keine Möglichkeiten für einen Völkermord

Das muss man wissen, um die Frage nach einem Völkermord zu beantworten. Denn vor allem eines erscheint unklar: Wie soll die ukrainische Armee einen Genozid in den Gebieten Donezk und Lugansk verüben, in denen seit acht Jahren kremltreue Separatisten die Kontrolle ausüben? Für einen Völkermord fehlen schlicht die Möglichkeiten.

Putin ließ offen, was genau er mit „Genozid“ meint. Einen Anhaltspunkt liefert aber ein Auftritt des Anführers der „Donezker Volksrepublik“ (DVR), Denis Puschilin, vor einer Woche. Puschilin nannte Zahlen: „Seit 2014 wurden auf dem Gebiet der DVR 130 Massengräber mit Opfern der ukrainischen Aggression entdeckt.“ Großteils handele es sich um Zivilisten. „Die meisten starben an Schusswunden, durch Minen oder nach Schlägen.“ Insgesamt seien in der DVR seit 2014 rund 5000 Menschen einen gewaltsamen Tod gestorben.

Tote Zivilist:innen: Wahl der Waffen entscheidet über Leben und Tod

Überprüfbar ist das nicht. Dennoch müssen die Angaben nicht falsch sein. Die Statistik der OSZE-Beobachtungsmission zeigt, dass im Donbass-Krieg mehr Zivilpersonen auf der separatistischen Seite sterben als auf der Regierungsseite. Fachleute erklären das mit der Wahl der Waffen. Während die Separatisten meist Scharfschützen zum Einsatz bringen, die gezielt Soldaten töten, sterben durch das Artilleriefeuer der ukrainischen Armee häufiger Zivilpersonen.

Offensichtlich ist aber: Dies ist die Tragödie eines Krieges. Amnesty International hat auf beiden Seiten Kriegsverbrechen wie Entführungen und Folter dokumentiert. Die Definition eines Genozids erfüllt das aber nicht. Für einen Völkermord im Donbass haben weder die OSZE noch die UN Hinweise. (Ulrich Krökel)

Auch interessant

Kommentare