Eine Milliarde Rüstungsexporte: Doch Schweiz verteidigt das Ukraine-Nein

Die Schweiz verweigert eine Weitergabe von Waffen und Munition an Kiew – und verteidigt ihre Neutralität im Ukraine-Krieg. Doch der Druck wächst.
Berlin – Die Schweiz bleibt im Streit um die Waffenlieferung an Kiew trotz massiven Drucks eisern: Der eidgenössische Botschafter in Berlin, Paul René Seger, hat das Nein zur Weitergabe von Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine erneut verteidigt. Die Schweiz habe sich dazu entschlossen, auf die Anwendung militärischer Gewalt zu verzichten, sagte Seger der Augsburger Allgemeinen. Er betonte: „Das heißt auch, dass wir keine Kriege unterstützen.“
Schweiz verteidigt Nein zur Weitergabe von Waffen und Munition an Kiew
Seger verwies zudem auf das Neutralitätsgebot, das in der Schweiz einen zentralen Stellenwert einnehme. Demnach darf die Regierung bei Konflikten keine Seite militärisch unterstützen. Das Neutralitätsgebot sei „ein Teil der DNA.“ Es sei vergleichbar mit dem Passus zum Wiedervereinigungsgebot im deutschen Grundgesetz. Seger zeigte sich verwundert über das „Ausmaß der Kritik.“ „Es wird der Eindruck erweckt, als ob die Schweiz mitschuldig wäre, wenn Putin den Krieg gewinnt. Aber 12.000 Schuss werden den Krieg nicht beeinflussen oder gar entscheiden“, sagte Seger gegenüber der Augsburger Allgemeinen am Montag (24. April).
Zum Hintergrund: Deutschland will Schweizer Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard in die Ukraine exportieren. Die Schweiz muss der Weitergabe der Munition jedoch zustimmen, weil Deutschland sich bei der Bestellung dazu verpflichtet hat, diese nicht an kriegführende Parteien weiterzuleiten. Die Bundesregierung hat bereits 34 Gepard-Panzer an die Ukraine geliefert, mit 60.000 Schuss aber zu wenig Munition.
Munitionslieferung an Ukraine: Deutschland zeigt sich enttäuscht über Neutralität der Schweiz
Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset hatte erst letzte Woche bei seinem Besuch in Berlin das strikte Nein zu einer Munitionsweitergabe bekräftigt. „Man kann nicht verlangen, dass wir unsere eigenen Gesetze brechen“, sagte Berset nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Einen Antrag Deutschlands, Dänemarks und Spaniens auf eine Ausnahme lehnte die Regierung ab.
SPD-Außenpolitiker Michael Roth hatte sich bereits vor Bersets Besuch enttäuscht gezeigt. Die Haltung der Schweiz müsse bei der zukünftigen militärischen Kooperation berücksichtigt werden, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte dem RND, die Schweiz müsse sich „entscheiden, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen will.“
Schweiz unter wachsendem Druck: Rüstungsindustrie klagt - exportiert aber für fast 1 Milliarde Franken
Der Druck auf die Schweizer Regierung wächst. Auch die Schweizer Rüstungsindustrie kritisierte das Neutralitätsgesetz, berichtet das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Forderungen werden zudem lauter, das Kriegsmaterialgesetz zu lockern. Dieses verbietet direkte Lieferungen an Kriegsländer. Dadurch hatte die Industrie laut SRF bei den Rüstungsexporten mit der internationalen Konkurrenz nicht mithalten können – trotz Anstieg auf einen Export-Rekordwert von 955 Millionen Franken im letzten Jahr.
Dieser stellt allerdings für ein Land der Größe der Schweiz immer noch einen beachtlichen Wert dar. Zugleich gibt es Vorwürfe der Doppelmoral. Beobachter der Schweizer Rüstungsindustrie, ein Regierungsbeamter und ein in der Schweiz ansässiger Militärexperte aus einem europäischen Land, erklärten dem Magazin Foreign Policy zuletzt, dass die Schweiz bei Kriegen in ärmeren Ländern einfach ein Auge zugedrückt habe, wenn es um den Re-Export ihrer Waffen ging. Bei Russland sei die Debatter aber politischer gefärbt.
Anfang April diskutierte das Schweizer Parlament einen ersten Vorschlag, der die Wiederausfuhr in die Ukraine erlaubt hätte, wenn es sich bei den Lieferanten um gleichgesinnte Länder handelt. Er wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt. Der Schweizer Bundesrat kann die Wiederausfuhr von in der Schweiz hergestellten Waffen nur ausnahmsweise bewilligen, wenn eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine durch den UN-Sicherheitsrat erfolgt ist. Da Russland im UN-Sicherheitsrat ein Vetorecht hat, ist dieses Szenario aber unwahrscheinlich. (bohy/dpa)