Russland und Norwegen: Lage an gemeinsamer Grenze spitzt sich zu
Die Bewohner:innen der norwegischen Stadt Kirkenes sind schneller in Russland oder Finnland als in Nachbargemeinden im eigenen Land. Doch der Krieg ändert alles.
Kirkenes - An der Grenze im Nordosten von Norwegen geht es kühl zu dieser Tage, und das liegt nicht nur am arktischen Klima, das für Menschen in Norwegen, Finnland und Russland noch weit in den Mai hinein für Schnee und Kälte sorgt. In der arktischen Grenzregion, wo sich Norwegen, Russland und Finnland treffen und nicht weit entfernt von der Stadt Kirkenes ein Dreiländereck bilden, sorgt Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine seit Monaten für einen Stimmungswechsel, der nun auch wirtschaftliche Folgen mit sich bringt.
Nur 13 Kilometer trennen die Stadt Kirkenes von der Grenze zu Russland, die zu Zeiten des kalten Krieges eine von zwei unmittelbaren Landgrenzen zwischen Sowjetgebiet und Nato-Staaten war und heute für Bürger:innen beider Länder, die nah genug am Grenzübergang wohnen, sogar visafrei überquerbar ist. Von knapp 3500 Einwohner:innen sind rund 400 ursprünglich aus Russland. Vom Stadtkern von Kirkenes in die nächstgrößere russische Stadt Nikel im Oblast Murmansk sind es kaum 55 Kilometer.

Spannungen an Russlands Grenzen im Ukraine-Krieg: In Norwegen sind die Folgen spürbar
Für die Bewohner:innen der Gemeinde Sør-Varanger, zu der auch Kirkenes gehört, hat mit dem russischen Angriff auf die Ukraine, eine Zeitenwende begonnen, deren Folgen laut einer aktuellen Reportage der Nachrichtenagentur Reuters gerade noch keiner richtig absehen kann. Bürgermeisterin Lene Norum Bergeng sprach vor den Kameras der Agentur von einer „surrealen Zeit“. Der Krieg beschäftige die Menschen in der Gemeinde täglich, und vielen seien traurig, wütend und frustriert, betont das Gemeindeoberhaupt.
Auswirkungen des Ukraine-Kriegs reichen von einer Petition, die fordert vor Jahrzehnten als Freundschaftsgeste aufgestellte zweisprachige Straßenbeschilderung zu entfernen, bis hin zu wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen, die schon lange mit russischen Kunden arbeiten, etwa der örtlichen Schiffswerft. 70 Prozent des aktuellen Umsatzes machten hier derzeit russische Aufträge aus, betont CEO Greger Mannsverk gegenüber Reuters, der es als Glück bezeichnet, dass die norwegischen Sanktionen nicht dafür gesorgt haben, dass russische Fischerboote die Häfen im Norden Norwegens nicht mehr anfahren dürfen. Anderenfalls hätte Mannsverk die Hälfte seiner 80-köpfigen Belegschaft kündigen müssen.

Spannungen zwischen Norwegen und Russland: Finnlands geplanter Nato-Beitritt verschärfen die Lage
Wie die Spannungen an der Grenze in den kommenden Wochen und Monaten weitergehen, das kann im Nato-Land Norwegen dennoch aktuell niemand absehen, vor allem da die Bestrebungen des Nachbarlands Finnland, im Angesicht des russischen Ukraine-Angriffs einen raschen Nato-Beitritt zu forcieren, für weitere Spannungen sorgen. Die Absicht Finnlands, schnellstmöglich dem Staatenbündnis beizutreten, wurde bereits vom Kreml sowie seinen Ministerien kommentiert und als „radikaler Wechsel in der Außenpolitik des Landes“ gewertet.
Die Menschen in Kirkenes stehen einem Nato-Beitritt Finnlands jedoch mehrheitlich offen gegenüber. Bürgermeisterin Lene Norum Bergeng betont, es sei ganz und gar Finnlands Entscheidung eine Nato-Aufnahme anzustreben: „Sollten sie das wollen, werden wir sie willkommen heißen“, kündigte sie an. Sie jedenfalls sei froh über Norwegens Nato-Mitgliedschaft. (ska)