Ukraine-Krieg: Russland erlebt auch im Donbass schwere Verluste
Im Ukraine-Konflikt läuft eine neue russische Offensive: Russland nimmt nun die ukrainische Schwerindustrie ins Visier. Die Soldaten kommen jedoch weiter schwer voran.
Kiew – Entlang der wenigstens 900 Kilometer langen Frontlinie im Osten der Ukraine, von Odessa im Süden in einem weiten Bogen hinauf bis Charkiw, hat in der Nacht zum Dienstag die bereits erwartete Offensive der russischen Invasionsarmee und der mit ihnen verbündeten separatistischen Milizen begonnen. Erklärtes Ziel Moskaus ist die „vollständige Befreiung des Donbass“. Beim ersten Versuch 2014 gelang nur die Besetzung eines Teils der beiden Oblasten Luhansk und Donezk, die das östliche Schwerindustriezentrum des Landes ausmachen.
An diesem ersten Tag ihrer Offensive, dem 55. des Ukraine-Konflikts, machten die Russen merkliche Geländegewinne, auch wenn Kiew darauf beharrt, die Invasoren könnten bestenfalls langsam vorankommen. Nach Angaben aus Moskau seien in der Nacht zuvor 1260 Ziele beschossen worden sein. Auch will man einen ukrainischen Kampfjet abgeschossen haben – wodurch die Russen ihre eigene Behauptung, die Lufthoheit über der Ukraine zu besitzen, Lügen straften.
Ukraine-Krieg: Erfolgreiche Gegenstöße im Donbass
Offenbar gab es am Dienstag sogar erfolgreiche ukrainische Gegenstöße im Donbass – dort, wo seit 2014 ausgebaute Grabensysteme eine Verteidigung in der Tiefe ermöglichen, aus der heraus Gegenangriffe leichter geführt werden können. Außerdem hatte Kiew schon vor Kriegsbeginn dort seine erfahrensten Truppen stationiert. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu soll sich am Dienstag beschwert haben, dass der Westen durch seine Hilfe für die Ukraine den erfolgreichen Abschluss der „speziellen militärischen Operation“ hinauszögere.

Der erste nachweisliche russische Erfolg ist die Eroberung von Kreminna, rund 50 Kilometer nordöstlich von Kramatorsk, wo am 8. April ein russischer Terrorangriff auf den Bahnhof 50 Menschenleben und doppelt so viele Verletzte kostete. Auch am Dienstag gab es dort wieder Fliegeralarm – und überall sonst im Frontgebiet. Vor allem Charkiw scheint unter Dauerbeschuss zu liegen.
Ukraine-Krieg: Kampf um die Kleinstadt Kreminna
Drei Tage lang wurde um die Kleinstadt Kreminna gerungen, am Dienstagvormittag zogen sich die ukrainischen Verteidiger dann zurück. Die Zivilbevölkerung habe man leider zurücklassen müssen, wurde der lokale Gouverneur Serhij Hayday vom britischen „Guardian“ zitiert. Vier Zivilpersonen sollen beim Versuch, von dort zu fliehen, von russischen Soldaten erschossen worden sein.
Kreminna war zu Beginn des Krieges Schauplatz eines Lynchmordes: Der prorussische Bürgermeister wurde entführt und dann auf der Straße erschossen aufgefunden. Am 11. März dann beschossen russische Panzer ein Pflegeheim: Fast fünf Dutzend Bewohner:innen sollen dabei ums Leben gekommen sein.
Ukraine kann Russland teilweise zurückdrängen
Durch ukrainische Vorstöße bei Isjum sollen mehrere nahgelegene Orte befreit worden sein. Vier Mal habe man dort auch russische Offensivkräfte zurückschlagen können, meldete Kiew. Auch bei Avdiyivka und im Süden bei Cherson seien die Russen nicht weiter vorangekommen.
In Mariupol gehen die Kämpfe dem Ende entgegen: Der tschetschenische Söldnerführer und Herrscher von Moskaus Gnaden, Ramsan Kadyrow, verlautbarte am Dienstag via Telegram-Kanal, „mit Gottes Hilfe“ werde man die letzte ukrainische Bastion, das weitläufige Stahlwerk Asowstal, nun einnehmen. Am Nachmittag verkündete Russland eine einseitige Feuerpause und rief die Ukrainer auf, sich zu ergeben. Die ukrainischen Einheiten bekräftigten allerdings via Telegram, dass sie weiter für die Verteidigung der Stadt kämpfen würden. Dabei bleibt die Lage dramatisch: Ein Kommandeur der ukrainischen Armee setzte einen emotionalen Hilferuf aus Mariupol ab. (Peter Rutkowski mit AFP/dpa)