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„Befehl, jeden zu ermorden“: Russischer Deserteur packt aus

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Von: Nail Akkoyun

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Nikita Chibrin desertierte mitten im Ukraine-Krieg aus der russischen Armee. Nun spricht der Ex-Soldat über die Gräueltaten der Kreml-Truppen.

Moskau/Washington, D.C. – Nikita Chibrin ist Deserteur. Monatelang war er eigenen Angaben zufolge Teil der 64. Motorschützenbrigade, die aus pro-russischen Separatisten und russischen Soldaten besteht. Die Truppe wird beschuldigt, mehrere Kriegsverbrechen in Butscha, Borodjanka sowie in weiteren Städten und Dörfern begangen zu haben.

Im April wurde Chibrins Brigade vom ukrainischen Verteidigungsministerium als kriegsverbrecherisch eingestuft, nachdem in der Region Kiew Massengräber voller ermordeten Zivilpersonen entdeckt worden waren. Bilder, die Dutzende Leichen auf den Straßen Butschas zeigten, sorgten international für Aufruhr. Im Zuge dessen erhoben viele Länder weitere Sanktionen gegen Russland. Der Kreml hat jegliche Beteiligung an Gräueltaten bestritten und die Behauptung wiederholt, dass die Fotos der zivilen Leichen gefälscht seien. Der russische Präsident Wladimir Putin ging noch weiter und verlieh der Einheit einen militärischen Ehrentitel und lobte sie für ihren „Heldenmut“ und ihre „kühnen Taten“.

Nach einem rund sechsmonatigen Einsatz in der Ukraine desertierte der Russe und floh über Belarus und Kasachstan nach Europa. Im Gespräch mit dem US-Nachrichtensender CNN sprach Chibrin über Morde und ungestrafte Vergewaltigungen.

Russische Soldaten werden in Moskau geehrt. Ein Deserteur der russischen Armee erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Kameraden.
Russische Soldaten werden in Moskau geehrt. Ein Deserteur der russischen Armee erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Kameraden. © IMAGO/Sergei Savostyanov

Russische Brigade im Ukraine-Krieg: Keine Spur von Heldentum

Chibrin sagt, er erinnere sich noch gut daran, wie seine Kameraden weggelaufen seien, nachdem sie während ihres Einsatzes im März nordwestlich von Kiew zwei ukrainische Frauen vergewaltigt haben sollen. Ihre Kommandeure, so Chibrin, hätten mit den Schultern gezuckt, als sie von den Gräueltaten erfuhren. In anderen Fällen seien Kriegsverbrecher lediglich „geschlagen“, aber nie vollständig bestraft worden.

Von dem angeblichen Heldentum seiner Einheit im Ukraine-Konflikt habe er nichts gesehen – dafür aber viele der Verbrechen. Die Einheit habe den direkten Befehl gehabt, „jeden zu ermorden“, der Informationen über die Positionen der Truppen weitergab, egal ob Militär oder Zivilpersonen. „Wenn jemand ein Telefon hatte, durften wir ihn erschießen“, sagte er.

Befehle, die einige seiner Kameraden nur zu gerne ausgeführt haben sollen. „Es gibt Wahnsinnige, denen es Spaß macht, einen Menschen zu töten. Solche Verrückten sind dort aufgetaucht“, sagte Nikita Chibrin. Er soll Zeuge gewesen sein, wie russische Soldaten Mütter und Töchter vor den Augen der anderen vergewalitigt haben sollen.

In Butscha (Ukraine) werden die Opfer eines mutmaßlichen Massenmords der russischen Armee beerdigt. (Archivbild)
In Butscha (Ukraine) werden die Opfer eines mutmaßlichen Massenmords der russischen Armee beerdigt. (Archivbild) © SERGEI CHUZAVKOV7afp

News zum Ukraine-Krieg: „Russland wird nicht aufhören, bis viel Blut vergossen wird“

Der ehemalige Soldat zweifelt nicht daran, dass Russland den Ukraine-Krieg verlieren wird – jedoch erst, nachdem viele weitere Menschen ihr Leben verloren haben werden. „Denn Russland wird nicht aufhören, bis viel Blut vergossen wird, bis alle sterben. Soldaten sind für sie Kanonenfutter. Sie respektieren sie nicht“, sagte er. Und vom ukrainischen Volk werde man „zum Teufel gejagt und mit Molotowcocktails beworfen“.

Er selbst entkam dem Krieg schlussendlich, als er nach einer Rückenverletzung erneut in die Ukraine geschickt wurde – diesmal in die Region Charkiw im Osten des Landes. In den Wäldern rund um die Stadt Isjum habe er die Möglichkeit gefunden, endlich zu flüchten, erzählte Chibrin CNN. Demnach sprang er auf die Ladefläche eines Lasters, der sich auf dem Weg nach Russland befand. Andere Kameraden hätten es ihm gleich getan.

Nun ist er entschlossen, über die Ereignisse, die er in der Ukraine erlebt hat, zu sprechen und hat sogar ein Antikriegslied geschrieben. „Hunderte von Seelen, Hunderte von Körpern verlorener Menschen. Hunderte von Müttern ohne Kinder“, heißt es im Refrain. Weiter erklärt Nikita Chibrin, er sei bereit, vor einem internationalen Gericht gegen seine Einheit auszusagen. Er behauptet, er selbst habe keine Verbrechen begangen. (nak)

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