So viele Menschen aus Russland hat Deutschland seit Kriegsbeginn aufgenommen

Wegen des Kriegs in der Ukraine und Wladimir Putin mussten auch Menschen aus Russland fliehen. Nun ist klar, wie viele nach Deutschland gekommen sind.
Berlin – Der Ukraine-Krieg treibt mehr als eine Million Flüchtende nach Deutschland. 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer hat die Bundesrepublik bis Februar aufgenommen. Doch auch Russen und Russinnen fliehen vor dem Krieg. Etwa, weil sie das Putin-Regime ablehnen oder Angst vor einer Rekrutierung haben. Darüber, wie viele russische Staatsbürger in Deutschland Asyl suchen, wird öffentlich kaum geredet. Eine Anfrage von IPPEN.MEDIA zeigt nun: Seit Kriegsbeginn hat sich die monatliche Zahl der russischen Asylanträge mehr als vervierfacht. Zudem hilft die Bundesregierung gefährdeten Russen per Sonderregel, wodurch sich die offiziellen Zahlen noch einmal erhöhen.
Steigende Asylzahlen und Faesers Sonderregel: So viele Russen kamen nach Deutschland
Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage mitteilt, gab es im Jahr 2022 insgesamt 3862 Asylanträge von russischen Staatsbürger; 2851 Erstanträge und 1011 Folgeanträge. Seit Kriegsbeginn wurden es nahezu jeden Monat mehr, wenn zunächst auch auf niedrigem Niveau. Waren es im März 2022 noch 215 Anträge, sind es im Januar 2023 bereits 974. Im Februar meldet das BAMF insgesamt 870 Anträge. Damit stellen Menschen aus Russland mittlerweile die siebtmeisten Asylanträge in der Bundesrepublik. Auf Platz eins liegt nach wie vor Syrien mit rund 9000 Anträgen. Menschen aus der Ukraine brauchen kein Asyl und fließen nicht in die Statistik mit ein.
Neben diesen offiziellen Asylanträgen gibt es seit Mai kriegsbedingt eine Sonderregel samt beschleunigtem Aufnahmeverfahren: Der § 22 S. 2 des Aufenthaltsgesetzes. Er erleichtert die Aufnahme von „besonders gefährdeten russischen Staatsangehörigen, die vor der Unterdrückung und Verfolgung durch das Regime Putins Schutz brauchen“, wie Nancy Faesers Bundesinnenministerium auf Anfrage schreibt. Auf diesem Wege seien insgesamt 1.306 Menschen nach Deutschland gekommen, etwa Regimekritiker:Innen, Journalist:Innen oder Wissenschaftler:Innen. Diese Zahlen landen nicht in der offiziellen Asylstatistik des BAMF.
Einem Ausländer kann für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat.
NRW und Schleswig-Holstein nehmen die meisten Menschen auf
Wie vielen Asylanträgen tatsächlich stattgegeben wird, geht aus den Zahlen des BAMF zunächst nicht hervor. Doch eine weitere Anfrage von IPPEN.MEDIA bei den Bundesländern gibt Einblicke. Bis auf Hessen und Saarland antworten alle Bundesländer. Die meisten Menschen aus Russland landen nach diesen Daten in Nordrhein-Westfalen (1067) sowie Schleswig-Holstein (643), die wenigsten in den ostdeutschen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern (106), *Thüringen (107) und Sachsen-Anhalt (122).
Diese neuen Bundesländer müssen gemäß Quotensystem des Bundes aber auch die wenigsten Geflüchteten aufnehmen. Hinter NRW müssten über diesen Verteilerschlüssel eigentlich die meisten Menschen in Bayern und Baden-Württemberg landen. Die beiden südlichen Bundesländer haben mit 336 beziehungsweise 280 russischen Staatsbürgern aber in etwa so viele aufgenommen wie die deutlich kleineren Länder Sachsen (333) oder Rheinland-Pfalz (279).
Königsteiner Schlüssel
Eine Quote berechnet, wie viele Flüchtlinge den einzelnen Bundesländern zugewiesen werden.
Zusammensetzung: zwei Drittel Steueraufkommen und ein Drittel Bevölkerungszahl der Länder. Die genauen Verteilerschlüssel können Sie hier nachlesen.
Drei Auswanderungswellen seit Kriegsbeginn
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung erkennt in einer Analyse insgesamt drei Auswanderungswellen. Unmittelbar nach Kriegsausbruch im Februar und März, im Juli nach Ende des Schuljahrs sowie im Herbst nach der von Wladimir Putin angekündigten Teilmobilmachung. Letztere spiegeln teils auch die Zahlen in Deutschland wider. So regestrierte etwa der Stadtstaat Berlin einen „signifikanten Anstieg“ nach der Teilmobilmachung. Auch in Schleswig-Holstein ist die Zuwanderung nach Zahlen der Landesregierung „stärker gestiegen“ als im Vorjahreszeitraum. Die Mehrheit der Bundesländer sieht jedoch keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilmobilmachung.
Laut Konrad-Adenauer-Stiftung sind seit Kriegsbeginn mehr als eine Million Russ:Innen geflüchtet. Die meisten Flüchtenden der dritten Welle flohen nach Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Israel, Kasachstan, Kirgistan, in die Türkei und nach Usbekistan. Diese Länder liegen nahe Russland und verlangen kein Einreisevisum für russische Bürger:Innen.
Die Einreise in die EU gestaltet sich deutlich schwieriger. Etliche Staaten wie Finnland, Polen oder das Balten-Trio lassen seit September 2022 keine russischen Staatsangehörigen mit einfachen touristischen Schengen-Visa mehr einreisen. Vor allem im Umgang mit Kriegsdienstverweigerern ist sich Europa uneins.
Das Bundesland Sachsen berichtet von „einigen Personen“, die angegeben hätten, aus Sorge vor der Einberufung zum Kriegsdienst geflüchtet zu sein. Für Rudi Friedrich, Geschäftsführer des Kriegsdienstverweigerer-Netzwerks Connection e.V ist klar: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Deswegen müsse diesen Menschen auch geholfen werden. (as)
*Die Zahlen von Thüringen beziehen auch die Monate Januar und Februar 2022 mit ein.