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Polen: Noch hält die Einheitsfront gegen Putins Krieg in der Ukraine

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Von: Ulrich Krökel

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Polen verdient viel Lob für seine Hilfe für die flüchtenden Menschen aus der Ukraine. Doch die ersten Momente internationaler Solidarität weichen nationalen Eigeninteressen.

Warschau - Zwei Millionen Geflüchtete, Inflation, Russland-Angst: In Polen ist der Krieg im Nachbarland Ukraine nicht nur geografisch ganz nah. Und doch sucht die rechtsnationale PiS-Regierung wieder Streit – vor allem mit Berlin und mit Brüssel.

Das gibt es bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im polnischen Parlament eigentlich nicht: 450 Abgeordnete stimmen mit Ja, niemand mit Nein. Das runderneuerte Gesetz über die Landesverteidigung passiert den Sejm im Eiltempo. Auch der Senat stimmt zu, in dem doch die Opposition die Mehrheit hat. Keine 24 Stunden später setzt Präsident Andrzej Duda seine Unterschrift unter den Text, der deutlich mehr Geld für Verteidigung vorsieht: drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – die Nato verlangt nur zwei.

Ukraine-Krieg: „Wir wollen Putin nicht in der Ukraine sehen und nicht in Europa“

In Polen, so scheint es Anfang März zunächst, kennt man angesichts der russischen Aggression keinen Streit mehr. Es geht ja auch um alles. Um die Existenz der Nation. Präsident Duda ist sich sicher: „Russlands Präsident Wladimir Putin will das Zarenreich wiedererrichten, bis hin nach Kalisz.“ In Kalisz, nur rund 100 Kilometer von Wroclaw (ehedem Breslau) entfernt, hatte im 19. Jahrhundert Moskau das Sagen. Da will Oppositionsführer Donald Tusk nicht zurückstehen: „Wir wollen Putin nicht in der Ukraine sehen und nicht in Europa.“

Tusk geht sogar noch weiter. Er will auch keinen Streit mehr in Warschau sehen. „Ein Krieg der Polen gegen die Polen wäre das perfekte Szenario für Putin“, sagt der Ex-Premier und Ex-EU-Ratspräsident. 2021 kehrte er in die Innenpolitik zurück – mit dem Ziel, die rechtsnationale PiS abzulösen und dadurch „das Böse zu vertreiben“. Damals heizte Tusk den „Krieg der Polen gegen die Polen“ erstmal kräftig an. Der martialische Ausdruck ist im Land gängig und kennzeichnet die tiefe Spaltung der Gesellschaft in Liberale und Nationalkonservative.

Polen: Zehntausende Freiwillige sind im Einsatz

Ist damit nun Schluss? Tatsächlich wirkt es nach den ersten Tagen des Krieges in der Ukraine so, als würde man nicht nur im Sejm die Reihen schließen, sondern überall in Polen. Das Land schafft es in einer einigen Kraftanstrengung, zwei Millionen Kriegsflüchtlinge aufzunehmen und mit allem zu versorgen: Essen, Wohnraum, Kleidung – und auch mit Anteilnahme. Zehntausende Freiwillige sind im Einsatz.

Blau über Gelb auf Warschaus Poniatowski-Brücke. Der Fürst kämpfte einst auch gegen Russland.
Blau über Gelb auf Warschaus Poniatowski-Brücke. Der Fürst kämpfte einst auch gegen Russland. © Czarek Sokolowski/dpa

Parallel dazu schnellt die Inflation in die Höhe. Doch wieder zieht die Politik an einem Strang. Der Staat verzichtet erstmal auf die Mehrwertsteuer auf Energie und Grundnahrungsmittel. Die Geflüchteten erhalten unbürokratisch Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Schule und Studium, Kindergeld und Sozialhilfe. Der Westen ist konsterniert: Waren es nicht die Polen, die im vergangenen Herbst an der Grenze zu Belarus auf kompromisslose Härte gegen Schutzsuchende setzten, auf illegale Pushbacks und den Bau einer Mauer?

Polen und der Ukraine-Konflikt: Der Streit über die Rechtsstaatlichkeit geht weiter

Spätestens da fängt der polnische Zwist wieder an. Die regierungsnahe Publizistin Aleksandra Rybinska stört sich an der „Selbstzufriedenheit“ vor allem in Deutschland. Noch skandalöser finden PiS-Leute, dass es in der EU keine „Kriegsdividende“ für Polen gebe – im Gegenteil: Der Streit über die Rechtsstaatlichkeit geht weiter. Am 10. März fordert das EU-Parlament verschärfte Strafen gegen Polen wegen der umstrittenen Justizreformen. Sogleich kontert das regierungstreue Verfassungsgericht in Warschau und erklärt Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention für unvereinbar mit polnischem Recht.

Nun richten sich alle Augen auf die EU-Kommission. Die prüft, ob das Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds, das Polen zusteht, freigegeben wird. Durch den Streit um die Rechtsstaatlichkeit wird das blockiert. Bleibt es dabei, dürften das manche in Warschau als eine Art „Kriegserklärung“ aus dem Westen werten. Am Montag befeuert Justizminister Zbigniew Ziobro das ganze: „Die EU hat den Verbrecher Putin groß werden lassen und unterstützt ihn mit ihrer Politik auch weiterhin.“ Die Opposition in Warschau hält dagegen. Die Regierung attackiere mit ihren Angriffen auf den Rechtsstaat jene Werte, für die „in der Ukraine Menschen sterben“. (Ulrich Krökel)

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