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Polen und Russland: Auf ewig verfeindet

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Von: Ulrich Krökel

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Solidarisch schon 2014 – zweckentfremdetes Mahnmal im bulgarischen Sofia.
Ukraine-Kireg: Solidarisch schon 2014 – zweckentfremdetes Mahnmal im bulgarischen Sofia. Auch Polen stellt sich hinter das Nachbarland. (Archivbild) © AFP

Polen warnt Europa vor den imperialen Absichten Russlands. Auf Warschau sollte man da hören: Dort hat man reichlich blutige Erfahrung mit Moskaus Gelüsten.

Warschau - Polens Präsident Andrzej Duda bleibt im Polit-Alltag meist sachlich. Deutlich schärfer wird der 50-Jährige, wenn es um Russlands Krieg in der Ukraine geht. Am Mittwoch (8. Juni) rüffelte er Olaf Scholz, weil der es immer wieder mit Telefondiplomatie versucht. Es bringe nichts, mit Wladimir Putin zu sprechen, sagte Duda und fragte: „Hat jemand im Zweiten Weltkrieg mit Hitler gesprochen?“

Der Ton könnte sich auch mit Dudas Familiengeschichte erklären: Die Nazis folterten seinen Großonkel zu Tode, weil der als Partisan gekämpft hatte. Ähnliches spielt sich seit mehr als drei Monaten in der Ukraine ab. Russische Soldaten foltern, morden und vergewaltigen. Psycholog:innen sind überzeugt, dass etwa die Bilder aus Butscha das Zeug haben, Menschen mit Kriegserfahrung zu retraumatisieren.

Ukraine-Krieg: Polen befindet sich seit dem Angriff von Russland im Ausnahmezustand

In abgeschwächter Form gilt die Diagnose auch für Nachfahren. Und weil in Polen fast jede Familie Geschichten wie die von Dudas Großonkel zu erzählen weiß, befindet sich das Land seit dem 24. Februar in einer Art kollektivem Ausnahmezustand.

Zumal auch dies zu den historischen Erblasten gehört: Als Hitler 1939 in Polen einfiel, marschierten wenig später die Sowjets von Osten her ein. 1940 dann ermordeten sie in den Wäldern rund um Katyn mehrere Zehntausend Offiziere und Polizisten, Ärzte, Anwälte und Intellektuelle. Es war ein gezielter Vernichtungsschlag gegen Polens Vorkriegselite. Kein Wunder also, dass fast 90 Prozent der Menschen in Polen überzeugt sind, dass Russland heute erneut eine existenzielle Bedrohung ist.

Video: Polen kündigte Gaslieferungen mit Russland

Polen unterstützt Ukraine: Das Land hat bisher mehr als drei Millionen Geflüchtete aufgenommen

Angesichts solcher Umfragewerte legen auch die politisch Verantwortlichen alle Zurückhaltung ab. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärt, Wladimir Putin habe eine „totalitären, nationalistischen und aggressiven Staat“ geschaffen. Russland wolle „das Imperium wiederherstellen“. Warschau unterstützt deshalb Kiew auf ganzer Linie. Polen hat mehr als drei Millionen Geflüchtete aufgenommen und setzt sich in Brüssel für einen schnellen ukrainischen EU-Beitritt ein. Das Land liefert schwere Waffen und hält in der Nato den Druck hoch, alles zu tun, damit Russland den Krieg verliert.

Morawiecki drängt sogar auf Regimewechsel: „Wir möchten, dass Putin von der Macht entfernt wird.“ Der Kremlchef sei ein Kriegsverbrecher. „Wofür er in der Ukraine verantwortlich ist, übersteigt jede Vorstellungskraft. Ich denke, wir sollten ein internationales Tribunal schaffen, um für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn der Krieg vorbei ist.“ Anders als einst bei den Massakern von Katyn. Damals wiesen die Sowjets die Täterschaft den Deutschen zu. In der kommunistischen Volksrepublik Polen gehörte diese Lüge zur Staatsräson. Nur wer diese Geschichte kennt, kann Sätze wie diesen einordnen: „Wir sind stolz, oben auf Putins Liste der unfreundlichen Staaten zu stehen.“ So sagt es Klimaministerin Anna Moskwa.

Russland reagiert scharf: Kreml warnt vor einer möglichen „Quelle der Bedrohung“ in Polen

In Russland stößt all das auf scharfe Reaktionen. Kremlsprecher Dmitri Peskow meint, Polen könne sich zu einer „Quelle der Bedrohung“ entwickeln. Drastischer wird es in den Propaganda-Talkshows des Staatsfernsehens: Der Duma-Abgeordnete Oleg Matwejtschew sprach dort kürzlich von einer möglichen polnischen Intervention in der Ukraine und warnte: „Dann werden Polens Grenzen keinen Bestand haben.“ Wie ernst zu nehmen sind solche Drohungen?

Fast alle Fachleute sind sich einig, dass das der erste Schritt zum Weltkrieg wäre. Sie weisen auch darauf hin, dass Putin auch einen Rückzug der Nato auf die Positionen von 1997 gefordert hat, also vor den Osterweiterungen des Bündnisses. Russland beansprucht demnach eine Einflusssphäre entsprechend dem Warschauer Pakt aus dem Kalten Krieg, Polen inklusive. Justyna Gotkowska vom Warschauer „Zentrum für Oststudien“ sagt: „Wenn sich die Nato aus der Region zurückzieht, sind in ein paar Jahren wir dran.“ (Ulrich Krökel)

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