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Ukraine-Krieg: Wie trägt Kriegsdienstverweigerung zum Frieden bei?

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Die Grenze zur Ukraine in der weißrussischen Region Brest: „Wir sollten froh darüber sein, dass es eine erhebliche Zahl von Menschen in Russland und Belarus gibt, die sich nicht an einem Angriffskrieg beteiligen wollen.“ Natalia KoleSNIKOVA/AFP
Die Grenze zur Ukraine in der weißrussischen Region Brest: „Wir sollten froh darüber sein, dass es eine erhebliche Zahl von Menschen in Russland und Belarus gibt, die sich nicht an einem Angriffskrieg beteiligen wollen.“ Natalia KoleSNIKOVA/AFP ©  Natalia Kolesnikova/afp

Wer in der Ukraine den Kriegsdienst verweigert, signalisiert, dass er nicht bereit ist, sein Leben einer rein militärischen Reaktion auf den russischen Angriff unterzuordnen, schreibt Ute Finckh-Krämer. Wir sollten froh sein, dass es diese Menschen gibt.

Kiew – In jedem Krieg gibt es Menschen, die sich der Beteiligung am Krieg verweigern. Sie versuchen, einer Einberufung ins Militär oder einer Tätigkeit in der Rüstungsindustrie oder in der Verwaltung besetzter Gebiete zu entgehen, notfalls durch Flucht in andere Länder oder durch Untertauchen. Oder sie desertieren aus der Armee. Viele, aber nicht alle, geben dafür Gewissensgründe an. Dass sie unabhängig von ihrer Motivation unseren Schutz verdienen, wurde in einem Interview mit Connection e.V. schon dargelegt 

Während im Ukraine-Krieg ukrainische Kriegsdienstverweigerer, denen es trotz Ausreiseverbots aus der Ukraine gelingt, bis nach Deutschland zu kommen, aktuell automatisch einen Schutzstatus auf Basis der EU-Massenzustromrichtlinie erhalten, müssen russische oder belarussische Kriegsdienstverweigerer ins Asylverfahren und haben zum Teil große Schwierigkeiten, in Deutschland oder anderen EU-Staaten einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten. Das ist schwer nachzuvollziehen, denn wir sollten ja froh darüber sein, dass es eine erhebliche Zahl von Menschen in Russland und Belarus gibt, die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen wollen.

Kriegsdienstverweigerer in Belarus und Russland: Ausreisewelle nach Teilmobilisierung Putins 2022

Diese Menschen haben in Belarus dazu beigetragen, dass das Land bis heute keine Truppen für den russischen Angriffskrieg beisteuert, was zweifellos hilfreich für die Ukraine ist. Und in Russland führt jeder neue Versuch, junge Männer gegen ihren Willen zum Militär einzuberufen, zu weiteren Fluchtbewegungen. So gab es nach der Teilmobilmachung, die Präsident Putin am 21. September 2022 verkündete, eine große Ausreisewelle.

„Je mehr Russen sich dem Krieg entziehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die russische Regierung ihre militärischen Ziele erreicht.“

Ute Finckh-Krämer

Die meisten fliehen in Länder, in die sie ohne Visum ausreisen können, und benötigen dort zunächst Unterstützung. Das gerade in Kraft getretene Gesetz zur digitalen Einberufung wird vermutlich eine weitere Ausreisewelle erzeugen.

Kriegsdienstverweigerer spielen auch nach Kriegsende wichtige Rolle

Kriegsdienstverweigerer können aber auch nach dem Ende eines Krieges eine wichtige Rolle spielen. Mitglieder der sogenannten Friedenskirchen (zum Beispiel Mennoniten und Quäker), die in den USA stark vertreten sind, haben im Ersten und Zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigert, sich aber stattdessen in soziale Dienste innerhalb der USA einberufen lassen. Viele haben sich direkt nach Kriegsende an der Lieferung von humanitärer Hilfe an die europäische, dabei ausdrücklich auch an die deutsche Zivilbevölkerung beteiligt. Die „Quäkerspeisung“ und die „Care-Pakete“ sind bis heute mit der Erinnerung an die direkte Nachkriegszeit verbunden und haben zur Versöhnung beigetragen.

Es gibt viele mögliche Gründe, den Kriegsdienst zu verweigern, von der Sorge um die eigene Gesundheit und das eigene Leben bis hin zu religiös, politisch oder moralisch begründeten Gewissensentscheidungen. In Russland und Belarus ist Kriegsdienstverweigerung unabhängig von der individuellen Begründung die Weigerung, sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu beteiligen. Je mehr Russen sich dem Krieg entziehen und je mehr Belarussen deutlich machen, dass sie nicht für eine Unterstützung des Krieges durch belarussische Soldaten zur Verfügung stehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die russische Regierung ihre militärischen Ziele erreicht.

ZUR SERIE

Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen? In der Serie #Friedensfragen suchen Fachleute nach Antworten. Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der Redaktion entsprechen. www.fr.de/friedensfragen

Kriegsdienstverweigerer im Ukraine-Krieg verdienen volle Unterstützung

Wer in der Ukraine den Kriegsdienst verweigert, signalisiert, dass er nicht bereit ist, sein Leben und seine Gesundheit, seine Überzeugungen oder sein Gewissen einer rein militärischen Reaktion auf den russischen Angriff unterzuordnen. Zu einem zukünftigen Frieden gehört mehr als ein militärisches Ergebnis auf dem Schlachtfeld – es gehören Menschen dazu, die während des Krieges nicht verlernt haben, über das Militärische hinaus zu denken. Kriegsdienstverweigerer können dazu einen wichtigen Beitrag leisten und verdienen daher unsere volle Unterstützung. (von Ute Finckh-Krämer)

Ute Finckh-Krämer ist Co-Vorsitzende des SprecherInnenrates der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung. Sie gehörte über viele Jahre dem Vorstand des Bundes für Soziale Verteidigung an und saß von 2013 bis 2017 für die SPD im Deutschen Bundestag.

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