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Eine Kompanie aus Kiew: Zusammengewürfelt an vorderster Front

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Von: Dmitri Durnjew

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Codename „Barret“: Der ukrainische Kommandant Jaranzew vor einem Panzerwagen.
Codename „Barret“: Der ukrainische Kommandant Jaranzew vor einem Panzerwagen. © D. Durnjew

Russlands Invasion in der Ukraine kommt nicht voran. Die Truppe von Jewgeni Jaranzew steht exemplarisch für den Widerstand – ein Besuch beim Morgenappell.

Kiew – Im Stab hätte man ihm gesagt, seine Soldaten sollten filmen, wie sie kämpfen. „Unsere Filme sehen so aus: Gras, Beine, du hörst Geschieße und schweres Atmen, dann siehst du wieder Beine. Das war der ganze Kampf“, wenn der Kommandeur grinst, leuchtet die Oberreihe seiner Schneidezähne golden auf.

Die im Stab seien unzufrieden. „Wir sollten was Schönes filmen, sagen sie, vor den Panzern posieren, die wir in Brand geschossen haben.“ Aber wenn sie feindliche Fahrzeuge unter Feuer genommen hätten, gelte es, die Beine in die Hand zu nehmen, der Feind schieße schließlich zurück: „Bumm!“, wieder leuchten die Goldzähne des Kommandeurs amüsiert. „Manchmal sehen wir noch schwarzen Rauch, dann wissen wir, dass wir getroffen haben.“

Reportage aus dem Ukraine-Krieg: Gut 40 Leute in zwei Reihen – „Alle auf einer Linie!“

Vorher hat Jewgeni Jaranzew, 54, Codename „Barett“, seine Kompanie zum Appell antreten lassen. Oder das, was von ihr übrig geblieben ist. Gut 40 Leute in zwei Reihen auf einem Kiewer Kasernenhof. „Ausrichten, alle auf einer Linie!“, ruft Jaranzew. Jemand schiebt sich vor, jemand macht einen Schritt zurück, aber die Front bleibt kurvig. „Gerade Leute, schaut auf eure Schatten!“, wieder machen einige Krieger Trippelschritte. Sie geben sich nicht wirklich Mühe, schneidig zu wirken, manchen scheinen die hellgrün-grün gefleckten Kampfanzüge eine Nummer zu groß zu sein, ein paar tragen T-Shirts. „Die sind gerade aus dem Urlaub zurück.“

Aber Jaranzews Truppe gehört zu den tausend Gründen dafür, dass Russlands Offensiven in der Ukraine klemmen. Die „11. Seperate Kompanie der 112. Brigade der Territorialverteidigung Kiews“ besteht aus Aufklärern und Einzelkämpfern, eine der ukrainischen Einheiten, die es gewohnt sind, noch vor der vordersten Front zu kämpfen.

Ukraine-Krieg: Erbitterte Kämpfe an der Donbassfront und schwere Verluste

Die Kompanie hat im April an den erbitterten Kämpfen um das Städtchen Lyman an der Nordflanke der Donbassfront schwere Verluste erlitten: 17 Tote, einen Gefangenen und 24 Verwundete, fast die Hälfte ihrer Soldaten. „Gerade als wir ankamen, begann die russische Großoffensive“, erzählt Jaranzew. „Wir hatten noch keine Stellungen bezogen und gerieten in einen Feuerüberfall.“ Acht der Pkw, zur Hälfte Privatautos, zur Hälfte aus Spenden gekaufte Gebrauchtwagen, in der seine Kämpfer saßen, brannten aus. „Unsere sind mit verbrannt“, sagt Jaranzew.

Der schmale Streifen mit Ordensabzeichen an seiner Brust wirkt unscheinbar neben dem schwarzen Aufnäher: „Head Hunters“. Das Sternchen eines Unterleutnants auf der Stoffklappe dazwischen wirkt noch unscheinbarer. „Vom Alter her müsste ich Major sein, also kommandiere ich“, wieder grinst er.

Kämpfer im Ukraine-Krieg: „Für die Russen war Putin schon damals sakral“

Jaranzew ist gelernter Kinderpsychologe, aber er arbeitete früher als Chefredakteur der Zeitschrift „Kurortnye Westi“ im Badeort Feodossija auf der damals noch ukrainischen Krim. Er ist seit 30 Jahren verheiratet, sein erwachsener Sohn lebt in Deutschland. Jaranzew hat einen russischen Pass, seine Schwester lebt in St. Petersburg, vor der Krimkrise arbeitete er mit einer Druckerei in Kursk zusammen.

„Einmal, nach einem Putin-Fernsehauftritt habe ich die Setzer gefragt: ,Na, was erzählt euer Glatzkopf?‘“ Sie hätten sich mit verzerrten Gesichtern abgewendet. „Für die Russen war Putin schon damals sakral.“ Russen bräuchten einen Chef, der sie anbrülle und erniedrige, sagt er. Die Ukrainer aber hätten schon vor hunderten Jahren als Saporoscher Kosaken Mehrheitsentscheidungen gefällt. Jetzt lebten sie wieder 30 Jahre ohne Obrigkeit, sie seien es gewohnt, selbstständig zu denken.

 „Unsere Kompanie ist wie das ganze Volk: ein Drittel jung, ein Drittel erwachsen, ein Drittel Opas“

Jewgeni Jaranzew, ukrainischer Kommandant

Kommandant im Ukraine-Krieg: Von der Herzklappenoperation direkt aufs Schlachtfeld

Viele Ukrainer:innen führen auch Krieg wie Kosaken. Dezentral, aber mit Feuereifer. Nachdem Russland 2014 die Krim besetzte, kämpfte Jaranzew im Freiwilligenbataillon Aidar gegen die hybride russische Invasion im Donbass. Nach der Kesselschlacht um Debalzewo landete er im Hospital. „Danach haben sie mich nach Hause geschickt. Ich stand in Kiew auf der Straße und wusste nicht wohin.“ Er organisierte mit anderen Donbasskämpfern einen Veteranenverband.

Auch die Hälfte seiner Männer kämpften 2014/15 bei Aidar. Und als am 24. Februar Putins Blitzkrieg gegen die ganze Ukraine begann und russische Truppen auf dem Flughafen Hostomel bei Kiew landeten, telefonierten sie sich zusammen, um die Feinde zu bekämpfen. Ein junger Aidar-Veteran kam mit seiner Freundin im Pkw, keine gute Idee, eine russische Panzergranate tötete beide. Jaranzew selbst hatte drei Wochen vorher eine Herzklappenoperation überstanden, konnte wegen heftiger Brustschmerzen beim Rückstoß kein Sturmgewehr benutzen, er begnügte sich mit einer Pistole und Handgranaten.

Auch hier kämpften Jaranzews Männer: In Hostomel bei Kiew geriet ein Sowjetdenkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs unter Beschuss.
Auch hier kämpften Jaranzews Männer: In Hostomel bei Kiew geriet ein Sowjetdenkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs unter Beschuss. © Genya Savilov/AFP

Russlands Truppen kämpfen im Ukraine-Krieg erbittert: „Die wollen sie rächen“

Die zusammengewürfelten ukrainischen Truppen jagten die russischen Fallschirmjäger damals zurück in die Wälder. Zu Kriegsbeginn hätten die Russen unentschlossen gewirkt, sagt Jaranzew, jetzt aber kämpften auch sie erbittert. „Viele ihrer Kameraden wurden getötet, die wollen sie rächen.“ Das Dorf Nowe, das seine Kompanie an der Donbassfront verteidigte, habe dreimal den Besitzer gewechselt.

Der Krieg sei ganz anders als 2014/15, sagt er, es gäbe viel mehr Panzer und Kampfdrohnen, vor allem viel mehr schwere Geschütze, auch die Ukraine habe normale Artillerie, beide Seiten setzten ihre Luftwaffe ein. Allerdings flögen die russischen Flugzeuge inzwischen sehr hoch, aus Angst vor den Stinger-Raketen der ukrainischen Truppen. Auch die Panzersoldaten beider Seiten seien nervös geworden.

Reportage aus dem Ukraine-Krieg: Die deutsche Panzerfaust 3 gilt als unpraktisch

Jaranzews Männer besitzen jetzt panzerbrechende Waffen im Überfluss, allerdings die verschiedensten Modelle. US-amerikanische Javelin-Systeme und britische NLaws, deren Raketen sich selbst ins Ziel steuern, oder schwedische Karl-Gustav-Granatwerfer. Die deutsche Panzerfaust 3 sei unpraktischer als die sowjetische RPG-Panzerbüchse. Vor jedem Schuss müsse man den Verschluss abschrauben. „Das haben wir erst gemerkt“, diesmal blitzen seine Goldzähne selbstironisch, „als wir auf Youtube studierten, wie man so eine Panzerfaust bedient.“

In der Kiewer Vorstadt Moschtschun seien sie vor einigen Wochen auf einen feindlichen Schützenpanzer gestoßen. Zuerst hätte ein Kämpfer, ein 67-jähriger Brillenträger, eine Panzerfaust 3 auf ihn abgefeuert, zu kurz, danach ein 30-Jähriger aus kürzerer Distanz noch eine Panzerfaust 3, wieder zu kurz. „Aber zwischen den Schüssen sind die Fallschirmjäger, die drin saßen, davongerannt.“

Ukrainische Truppen im Krieg gegen Russland: „Für Angst bleibt keine Zeit“

Jaranzew sagt, der 67-Jährige sei der Älteste, ein 17-Jähriger der Jüngste in ihrer Kompanie. Die Armee habe inzwischen beide wegen ihres Alters entlassen, jetzt kämen sie inoffiziell zu Fronteinsätzen mit. „Unsere Kompanie ist wie das ganze Volk: ein Drittel jung, ein Drittel erwachsen, ein Drittel Opas“. Auch in anderen Einheiten finden sich ganze Teams von Großstadtukrainer:innen, die in den vergangenen acht Jahren auf eigene Faust ins Kriegsgebiet gefahren sind, um dort als Späh- und Stoßtrupps zu kämpfen. Viele sind über 50, offenbar fühlen sich viele im Angesicht des Todes wieder jung.

Aber auch die regulären Truppen agieren oft in Kleinkampftruppen von drei bis acht Soldatinnen und Soldaten. Beim Kundschaften, mit dem Scharfschützengewehr oder auf Panzerjagd setzen den Russen böse zu. Angst? „Als Kommandeur hast du herumzulaufen und zu brüllen, für Angst bleibt keine Zeit“, erklärt Jaranzew. Und wegen seiner Herzklappe müsse er täglich ein blutverdünnendes Mittel einnehmen. „Deshalb trage ich keine Schutzweste.“ Die Weste schützt den Rumpf. Für ihn aber sei auch eine verletzte Schlagader an Arm oder Bein tödlich.

Reportage aus dem Ukraine-Krieg: 50.000 Dollar für jedes mitgebrachte Fahrzeug

Aber lieber redet er über die Zukunft des Krieges: Russland würde im Sommer versuchen, die ukrainische Getreideernte noch auf den Feldern zu verbrennen. „Das gibt eine Hungersnot in Nordafrika, Millionen werden davor nach Europa fliehen, das ist es, was Putin will.“ Abgesehen davon ist Jaranzew vom Sieg der Ukraine überzeugt.

Bei Lyman hat es ihm am Bein erwischt, glimpflich, er humpelt am Stock in den Hinterhof, zeigt einen neu erbeuteten BTR-82-Schützenpanzer und die russischen Fahrzeugpapiere dazu. „Feindlichen Überläufern verspricht die Regierung 50.000 Dollar für jedes mitgebrachte Fahrzeug, das wären für unsere Kompanie 1000 Dollar pro Soldat. Aber wir haben schon zwei Beute-Schützenpanzer abgeliefert und kein Geld gesehen. Der ist 300.000 Dollar wert.“ Er sei neu, habe keine 1000 Kilometer auf dem Tacho. „Jetzt klären wir das erst mal mit der Prämie.“ Dass er kein Überläufer ist, ist für ihn kein Argument. „Ich habe doch auch einen russischen Pass.“ Diesmal wollen Jaranzew und seine Kosaken ihre gepanzerte Beute nicht so einfach hergeben. (Dmitri Durnjew)

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