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„Sorge um Schicksal unserer Kollegen“: Kreml sucht Sündenböcke für Kinschal-Desaster

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Von: Andreas Apetz

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In einem offenen Brief wird die Freilassung dreier russischer Raketenwissenschaftler gefordert – der Kreml beharrt weiterhin auf seiner Anklage.

Moskau – Für Russland, den Kreml und Wladimir Putin gab es Anfang Mai einen herben Tiefschlag: Bei einem russischen Raketenangriff wurde die als unaufhaltsam geltende Hyperschallrakete vom Typ Kinschal über dem Himmel von Kiew abgefangen. Der von der ukrainischen Luftwaffe als „historisches Ereignis“ bezeichnete Erfolg ist dem westlichen Patriot-Abwehrsystem zu verdanken. Mittlerweile sollen sechs weitere Kinschal-Raketen abgeschossen worden sein.

In Moskau kocht die Stimmung nach der fatalen Niederlage. In der moralisch angeschlagenen Hauptstadt müssen nun drei Wissenschaftler für den militärischen Misserfolg den Kopf herhalten. Bereits im vergangenen Jahr waren mehrere Raketenexperten unter dem Vorwurf des Hochverrats verhaftet worden. Alle drei waren an der Entwicklung der russischen Prestigewaffe vom Typ Kinschal beteiligt.

Bilder zeigen wie ein Kampfjet vom Typ MiG-31 mit einer Kinschal-Hyperschallrakete beladen wird.
Bilder zeigen wie ein Kampfjet vom Typ MiG-31 mit einer Kinschal-Hyperschallrakete beladen wird. (Archivfoto) © Russian Defense Ministry Press/dpa

Russlands Wunderwaffe sabotiert? Offener Brief soll Wissenschaftlern helfen

Bislang galten die russischen Hyperschallraketen als die Spitze der militärischen Kriegstechnologie. Putin selbst hatte die Kinschal-Raketen bei ihrer Vorstellung im März 2018 als „unaufhaltsam“ bezeichnet. Das neue Raketenmodell könne „alle bestehenden und, wie ich glaube, zukünftigen Flugabwehr- und Raketenabwehrsysteme überwinden“, hieß es damals. Mit den neusten Entwicklungen im Ukraine-Krieg sind diese Thesen vom Tisch geräumt.

Schuld an den gescheiterten Raketenangriffen seien nach Auffassung des Kreml drei Spezialisten für Hyperschalltechnologie. Die Wissenschaftler Alexander Schipljuk, Anatoli Maslow und Waleri Sweginzew hatten am Bau der Kinschal-Raketen mitgewirkt und waren im Oktober vergangenen Jahres festgenommen worden, unter dem Verdacht, Staatsgeheimnisse über russische Raketentechnologien preisgegeben zu haben. Ein weiterer Wissenschaftler aus Sibirien, Dmitri Kolker, war 2022 wenige Tage nach seiner Festnahme einer Krebserkrankung erlegen.

In einem offenen Brief der Mitarbeiter des Institutes in der sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften wurden die drei Raketenwissenschaftler nun von ihren Kollegen verteidigt. „Wir kennen jeden von ihnen als Patrioten und als anständigen Menschen, der nicht zu solchen Taten fähig ist, derer sie die Behörden verdächtigen“, heißt es im Schreiben, welches am Montag (15. Mai) veröffentlicht worden war.

„Schwerwiegende Vorwürfe“: Russische Raketenforscher bleiben weiterhin in Haft

In dem Schreiben heißt es weiter, Schipljuk, Maslow und Sweginzew hätten beim wissenschaftlichen Austausch in Publikationen und auf Konferenzen keine Geheimnisse preisgegeben. Sollte ein solcher Austausch bereits als Hochverrat eingestuft werden, sei die Luftfahrt-Forschung gefährdet. „In dieser Situation sorgen wir uns nicht nur um das Schicksal unserer Kollegen. Wir wissen schlichtweg nicht, wie wir unsere Arbeit fortsetzen sollen.“ Zudem würden talentierte Nachwuchswissenschaftler durch die Anschuldigungen des Kremls abgeschreckt.

Kinschal-Rakete

Die Kinschal-Raketen Kh-47M2 gehört zum hypersonischen Waffenarsenal der russischen Föderation. Mit einer Länge von etwa sieben Metern und einem Gewicht von mehr als einer Tonne ist die Rakete vergleichsweise kompakt. Aufgrund ihrer großen Flughöhe, der hohen Geschwindigkeit und ihrer flexiblen Manövrierfähigkeit können Kinschal-Raketen nur schwer von Flugabwehrsystemen erkannt und abgefangen werden.

In Moskau reagierte man kühl auf die Forderungen der russischen Akademie. Dimitri Peskow, Putins Pressesprecher, wies die Kritik zurück und sprach nur davon, dass man das Schreiben zur Kenntnis genommen habe. Russische Spezialkräfte würden sich weiterhin mit den Fällen befassen, es handle sich immer noch um „schwerwiegende Vorwürfe“ gegen die drei Wissenschaftler. Die Angeklagten bleiben weiterhin in Haft.

Ob Schipljuk, Maslow und Sweginzew tatsächlich Geheimnisse weitergegeben haben, die das Abfangen von Hyperschallraketen ermöglichten, wie es die Anklage behauptet, ist unklar. Hinsichtlich der Reaktion des Kreml scheint die russische Führungsriege weiterhin an ihren Vermutungen festzuhalten. (aa)

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