Wie im Kalten Krieg: Nato bereitet sich mit Geheimplänen auf russischen Angriff vor
Das Verteidigungsbündnis Nato will offenbar streng geheime Militärpläne ausarbeiten, was im Falle eines russischen Angriffs zu tun ist.
Vilnius - Beim kommenden Gipfel der Nato-Mitgliedsländer im Juli in Vilnius will das Verteidigungsbündnis einer altbewährten Taktik aus der Vergangenheit neues Leben einhauchen. Zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges will die Allianz umfangreiche Verteidigungspläne ausarbeiten, in denen die Reaktion der Nato auf einen russischen Angriff detailliert beschrieben wird. Das geht aus einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters hervor.
Nato-Bündnis will Verteidigungspläne wie aus Zeiten des Kalten Krieges
Der Nordatlantikpakt Nato war im Jahr 1949 während der frühen Jahre des Kalten Krieges gegründet worden. Mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen infolge des Ukraine-Kriegs dauerhaft beschädigt. Russland sieht sich Angaben des früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zufolge in einem nicht offiziell erklärten Krieg mit dem Westen und die Welt am Rande des Dritten Weltkrieges. Immer wieder drohte Moskau zuletzt auch mit Atomwaffen. In diesem Klima hat das Nato-Bündnis nun beschlossen, tausende Seiten umfassende geheime Pläne für den Fall eines russischen Angriffs auf Nato-Gebiet auszuarbeiten.

Es ist einerseits ein Wendepunkt für das Bündnis, das seit dem Ende des Kalten Krieges an kleineren Kriegen in Afghanistan und dem Iran beteiligt war. Andererseits formalisieren die Pläne einen Prozess, der bereits durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 begonnen wurde – dem eigentlichen Beginn des Krieges, laut Nato-Chef Jens Stoltenberg. Die Verbündeten wüssten anhand dieser Pläne künftig genau, „welche Kräfte und Fähigkeiten benötigt werden, einschließlich wo, was und wie sie eingesetzt werden müssen“, so Stoltenberg.
„Der grundlegende Unterschied zwischen Krisenmanagement und kollektiver Verteidigung besteht darin, dass nicht wir, sondern unser Gegner den Zeitplan bestimmt“, erklärte Admiral Rob Bauer, einer der höchsten Nato-Militärs laut Angaben von Reuters. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es jederzeit zu Konflikten kommen kann.“ Zwar könne die Umsetzung der Pläne einige Jahre dauern, das heiße aber nicht, dass die Nato nicht einsatzbereit sei. „Wir sind bereit, heute Abend zu kämpfen“, betonte Nato-Generalleutnant Hubert Cottereau.
Strategiewechsel sieht keine unmittelbare Erhöhung der Truppenstärke im Osten der Nato vor
Seit dem Ende des Kalten Krieges 1991 hat sich für die Nato einiges verändert. In Europa herrscht Krieg und insgesamt sind nun 31 Staaten Teil der Allianz. Auch Finnland ist Mitglied des Nordatlantikpakts, was die Außengrenze auf insgesamt 2.500 Kilometer verdoppelte. Anders sei auch, dass sich die Nato nicht mehr auf einen groß angelegten Atomkrieg gegen Moskau und seine Verbündeten vorbereite, von denen die meisten inzwischen Mitglieder seien, sagte der Nato-Historiker Ian Hope. Das Internet, Drohnen, Hyperschallwaffen und ein schneller Informationsfluss stellen indes neue Herausforderungen dar.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hatte die Nato einen verstärkten Schutz an der Ostflanke beschlossen, zudem sollten 300.000 Soldaten statt wie zuvor 40.000 in höchste Alarmbereitschaft versetzt werden. Der jetzige Strategiewechsel sehe aber dennoch keine unmittelbare Notwendigkeit vor, die Truppenstärke im Osten des Nato-Gebietes zu erhöhen – auch wegen der Aufklärung durch Satelliten, hieß es. „Je mehr Truppen man an der Grenze versammelt, desto mehr ist es, als hätte man einen Hammer. Irgendwann möchte man einen Nagel finden“, warnte Generalleutnant Cottereau.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg betonte am Donnerstag (18. Mai 2023) indes erneut, wie wichtig das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Mitgliedsländer bei den Verteidigungsausgaben sei. Dies stehe auch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Nato-Verteidigungspläne, deutete die Nachrichtenagentur Reuters in ihrem Bericht an. Zwei Prozent seien das „absolute Minimum“, so Stoltenberg zum Nachrichtenmagazin Spiegel.