Wie denken die Deutschen über Waffenlieferungen in die Ukraine?

Waffenlieferungen an die Ukraine werden hitzig diskutiert. Doch wie stehen die Deutschen wirklich dazu? Sozialpsychologe Johannes Ulrich hat nachgefragt.
Frankfurt – Ich habe Deutschland vor zehn Jahren verlassen, aber verfolge als Sozialpsychologe intensiv die politische Debatte zur deutschen Außenpolitik. Geboren im Deutschen Herbst 1977, kenne ich die großen Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss Anfang der 1980er Jahre nur aus Erzählungen. Die Angst vor einem Atomkrieg trieb damals Hunderttausende auf die Straßen.
Auch letztes Jahr gab es Diskussionen darüber, ob Deutschland mit der Ausbildung von ukrainischen Soldaten zur Kriegspartei wird, und welche Gefahren davon ausgehen. Aber es gab keine große Kundgebung gegen Rüstungsausfuhren aus Deutschland wie in den 1980er oder 1990er Jahren.
Ich habe mich gefragt, wie die Deutschen über den Beschluss denken, „Leopard“-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Am 25. Januar, einen Tag nach der Entscheidung der Bundesregierung, habe ich eine Blitzumfrage in Auftrag gegeben. Prolific, der Auftragnehmer, bietet keine repräsentativen Umfragen an.
Panzerlieferungen an die Ukraine: Blitzumfrage kurz nach Ankündigung
Aber das spielt für meine Forschungsfrage keine Rolle. Sie lautet: Gibt es überhaupt jemanden in Deutschland, der die Panzerlieferungen problematisch findet? Die 744 Teilnehmenden meiner Umfrage (56 Prozent männlich) sind zwischen 18 und 71 Jahre alt, haben zu 83 Prozent bei der letzten Bundestagswahl mit ihrer Zweitstimme für eine der im Bundestag repräsentierten Parteien gestimmt, und zwar mehrheitlich für Bündnis 90/ Die Grünen (41,3 Prozent), FDP (13,6 Prozent), SPD (12,1 Prozent) oder Die Linke (11.7 Prozent).
Die erste Frage, die ich gestellt habe, lautet: „Zur Zeit wird darüber diskutiert, ob Deutschland der Ukraine schwere Panzer liefern soll. Konkret geht es um die Version Leopard 2A6 aus Beständen der Bundeswehr. Was ist Ihre Meinung zur Lieferung von schweren Panzern aus Deutschland an die Ukraine?“
Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg: Ambivalenz in der Entscheidungsfindung
Etwa die Hälfte der Befragten ist dafür, die anderen sind entweder dagegen oder können sich nicht entscheiden, weil viel dafür und viel dagegen spricht. Damit bestätigt sich, was bereits repräsentative Umfragen seit Beginn des Krieges ergeben haben: Viele Menschen in Deutschland erleben in diesen Fragen Ambivalenz.
Wer Ambivalenz aushält, kann als ambiguitätstolerant bezeichnet werden. Die Psychologgin Else Frenkel-Brunswik hat diese Persönlichkeitseigenschaft 1949 in Opposition zum Konzept des J-Typs des Marburger Psychologen Erich Jaensch beschrieben. Jaensch, ein glühender Nazi, war davon überzeugt, dass Menschen, die gegensätzliche Reaktionen nebeneinander stehen lassen und nicht zugunsten des dominanten Impulses auflösen, „realitätsfremd“ sind. Für Frenkel-Brunswik dagegen war Ambiguitätstoleranz eine Fähigkeit, die uns vor Schwarz-Weiß-Denken und vorschnellen Schlüssen bewahrt. Ihre Einschätzung wird durch die moderne Ambivalenzforschung gestützt. Ambivalenz verlangsamt Urteile und Entscheidungen.
Es ist aber auch bekannt, dass Ambivalenz ein instabiler Zustand ist und (zuweilen extreme) Reaktionen in beide Richtungen daraus folgen können, die durch zufällige äußere Einflüsse gelenkt werden. Wie werden sich die Ambivalenten verhalten, wenn mit der Lieferung von Kampfjets die nächste Stufe der militärischen Unterstützung zum Thema wird? Werden sie dann vielleicht auf die Straße gehen, oder genügt dann ein Tweet des ukrainischen Vize-Außenministers Melnyk, um sie umzustimmen? In meiner Umfrage ergab sich zum Thema Kampfjets, dass die Zustimmung abnimmt und das Lager der Gegner:innen und Ambivalenten in der Mehrheit ist.
Deutschland im Ukraine-Krieg: Keine breite Zustimmung für Waffenlieferungen
Ich wiederhole: Die Umfrage ist nicht repräsentativ für die Wahlbevölkerung. Sie bildet vor allem die Meinung der Grünen-Wähler:innen ab, die anscheinend besonders gern an Online-Umfragen teilnehmen. Aber wenn keine Demonstrationen zum Ukraine-Krieg stattfinden, ist es wichtig, diesen Personen Gehör zu verschaffen.
Warum ist es wichtig, dass die Ambivalenz der öffentlichen Meinung bekannt wird? Es gibt in der Sozialpsychologie das sperrige Konzept der pluralistischen Ignoranz, das aber ganz einfach zu erklären ist. Es zeigt sich jede Woche in meiner Vorlesung. Wenn sich niemand mit einer Frage zu Wort meldet, denken alle, dass der Inhalt den anderen klar sei, und melden sich ebenfalls nicht, um nachzufragen. Die Ergebnisse meiner Umfrage zeigen ganz deutlich, dass die Zustimmung der Deutschen zu Rüstungsausfuhren alles andere als klar ist. Alle sollten wissen: Es gibt in Deutschland (noch) keine breite Zustimmung für das Handeln der Bundesregierung.
Johannes Ullrich ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich.
Zur Serie
Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?
In der Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten nach Antworten auf viele drängende Fragen. Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der FR entsprechen.
Alle Artikel finden sich auch auf unserer Homepage unter www.fr.de/friedensfragen.