Rufe nach Frieden im Ukraine-Krieg – junge Menschen fühlen sich kaum angesprochen

Der Ostermarsch ist schon lange kein Selbstläufer mehr. Daran ändert auch der Krieg in der Ukraine nichts. Vor allem junge Menschen fühlen sich kaum angesprochen. Eine Analyse.
Passau – Im schönen bayerischen Passau, wo Donau, Inn und Ilz zusammenfließen, gab es noch nie einen Ostermarsch. Das ist in diesem Jahr anders. „Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!“, lautet das Motto, wenn die Friedensbewegten sich am Ostersamstag im Klostergarten treffen, um zum ersten Passauer Ostermarsch aufzubrechen. Der Sänger und Friedensaktivist Konstantin Wecker hat ihnen ein Lied geschickt, das sie bei ihrer Kundgebung einspielen dürfen.
„Durch den Ukraine-Krieg ist mir noch deutlicher geworden, dass nichts wichtiger ist als der Frieden“, sagt der Passauer Stadtrat Karl Synek, der den Marsch mit auf die Beine stellt. Synek ist 70 Jahre alt und amtiert auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen in Passau, vergisst aber nicht hinzuzufügen, wie unzufrieden er mit der Bundespolitik der Grünen ist.
Ukraine-Krieg mobilisert Menschen, für Frieden auf die Straßen zu ziehen
Die Lieferung von Panzern und anderen „Offensivwaffen“ an die Ukraine lehnt Synek ab. „Wir hoffen, dass viele Leute kommen“, sagt seine Mitorganisatorin Halo Saibold, eine ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete, die 1999 wegen des Kosovokriegs aus der Partei ausgetreten ist.
Auch im bayerischen Ingolstadt und im brandenburgischen Eisenhüttenstadt sind nach Angaben des Netzwerks Friedenskooperative erstmals Ostermärsche geplant. Die Friedensbewegung zeigt sich lebendig oder erwacht an Orten wie Passau unter dem Eindruck des aktuellen Krieges zum Leben. Rund 120 Veranstaltungen sind bundesweit für das Osterwochenende geplant. Das Entsetzen über das massenhafte Sterben in Russlands Krieg gegen die Ukraine mobilisiert die Menschen auch hierzulande dazu, gegen Krieg auf die Straße zu gehen. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß. Einerseits.
Ukraine-Krieg: Wesentliche mehr Teilnehmer bei Ostermärschen für Frieden
Andererseits erwarten die Organisator:innen nicht, dass wesentlich mehr Menschen an den Ostermärschen teilnehmen als etwa vor einem Jahr – acht Wochen nach Beginn der Invasion. Damals kamen in Frankfurt rund 2500 Menschen, in Berlin laut Polizei rund 1300 und in München knapp 500. Lange her sind die Zeiten, da der Protest gegen Nachrüstungsbeschluss der Nato oder später Irakkrieg Hunderttausende auf die Straße brachte.
Fast 800 000 Menschen haben das „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterzeichnet. Doch auch zu ihrer Demonstration am vergangenen 24. Februar kam nur ein Bruchteil davon, immerhin geschätzte 20 000 bis 30 000. Ein Grund dafür dürfte in einer neuen Unübersichtlichkeit bestehen, wer eigentlich wofür oder wogegen auf die Straße geht.
Wann, was, wo?
An Gründonnerstag, 6. April, starten in Freiburg, Erfurt und Königs Wusterhausen die Ostermärsche für den Frieden. Rund 120 weitere Demonstrationen und Kundgebungen sind im Laufe des Osterwochenendes in der ganzen Republik geplant.
Am Karfreitag (7. April) wird an der bundesweit einzigen Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau und beim Bundeswehr-Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein demonstriert.
Für Samstag (8. April) sind die meisten Märsche und Kundgebungen geplant, darunter in Stuttgart, München und Berlin.
In Frankfurt am Main ist traditionell der Ostermontag (10. April) der wichtigste Tag der Ostermärsche. Die Antikriegskundgebung auf dem Römerberg beginnt um 13 Uhr. Viele Teilnehmende kommen in Märschen oder per Fahrrad aus Offenbach, Eschborn oder aus den Stadtteilen Nordend, Rödelheim und Bornheim.
Forderungen hat das Netzwerk Friedenskooperative zusammengefasst. Die Ostermärsche wollten sich „insbesondere für ein Ende des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine einsetzen, auch wenn wir darüber die weltweiten Konflikte und Kriege auf der Welt nicht vergessen wollen“, heißt es dort. Bei vielen Ostermärschen würden eine Beendigung der Kampfhandlungen und Friedensverhandlungen gefordert. Im Vordergrund stehen daneben der Schutz aller Menschen, die sich dem Krieg entziehen wollen, die Aufarbeitung von Völkerrechtsverbrechen, „die vollständige nukleare Abrüstung“ und daher auch „das Ende der nuklearen Teilhabe in Deutschland“ sowie ein Ende der weltweiten Aufrüstung. pit/afp
Einen Überblick über Veranstaltungen gibt es unter www.friedenskooperative.de
Unterstützer von Wagenknechts Friedens-Manifest ebenfalls anzutreffen
In der ganzen Gesellschaft gebe es „Deutungskämpfe rund um die Friedensthematik“, sagt die Sozialforscherin Larissa Meier, die am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld tätig ist. Der Friedensbegriff werde unterschiedlich benutzt. „Wir beobachten verschiedene soziale Bewegungen, die auf den Krieg gegen die Ukraine auf unterschiedliche Weise reagieren: die traditionelle Friedensbewegung, die sich bei den Ostermärschen zusammenfindet, eine rechtspopulistische Bewegung, die sich zu dem Schwarzer-Wagenknecht-Aufruf bekannte, und eine pro-ukrainische Solidaritätsbewegung, die entschieden für Waffenlieferungen eintritt.“ Diese Gruppierungen orientierten sich teilweise gegeneinander.
Bei den Ostermärschen dominieren seit Jahren die grauhaarigen Männer und Frauen. „Ich kenne noch die Kriegserlebnisse meiner Eltern“, sagt der Passauer Stadtrat Synek. Das präge die Einstellung gegen den Krieg.
Bei den Friedensmärschen sind ältere Menschen deutlich mehr vertreten
Willi van Ooyen, 76 Jahre alter Frankfurter und ehemals Linken-Fraktionschef in Hessen, ist ein Urgestein der Friedensbewegung. Er hat ihre größten Erfolge mitgestaltet und auch die Jahre mitgemacht, in denen so gut wie nichts lief. Bei Schwarzer-Wagenknecht seien nicht nur Menschen über 60 Jahren stark vertreten gewesen, sondern auch Menschen unter 30 Jahren. „Dazwischen fehlen uns 30 Jahre“, räumt van Ooyen ein. Bei den Jüngeren entdeckt er geradezu eine „Aufbruchstimmung“ – doch die ist nicht überall sichtbar. Es sind junge Frauen und Männer aus einem begrenzten Milieu, aus der Linkspartei, der Gewerkschaftsjugend und der migrantisch geprägten DIDF, die sich in der Friedensbewegung einbringen.
Die alten Recken bestimmen das Bild. Wissenschaftlerin Meier hat sich im vergangenen Jahr zusammen mit ihrer Kollegin Priska Daphi den Ostermarsch in Bielefeld angeschaut und dort Interviews geführt. Ihr Aufsatz, der im „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“ erschien, trug den vielsagenden Titel: „Warum konnte die Ostermarschbewegung kaum von der öffentlichen Empörung über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine profitieren?“
Frieden im Ukraine-Krieg: Junge Menschen fühlen sich kaum noch angesprochen
Meier sieht nicht zuletzt den Duktus der Aufrufe als Grund dafür, dass sich die jungen Menschen kaum angesprochen fühlten. Die Aufrufe seien „teils stark in einem Framing verhaftet, das an die Diskurse aus den 80ern anknüpft und beispielsweise auf die Fehler der Nato fokussiert“, analysiert sie.
Die Friedensbewegung war schon immer dezentral organisiert. Es gibt jedoch so etwas wie einen Grundkonsens, der sich in vielen Aufrufen wiederfindet. „Das Töten muss aufhören“ lautet so ein Satz. „Nur Verhandlungen können den Krieg beenden.“ Vielerorts wird daran erinnert, dass nicht nur in der Ukraine geschossen wird, sondern auch in anderen Ländern. Protest gegen die enormen Zusatzausgaben für die Bundeswehr ist ebenso verbreitet.
Doch das genügt nach Einschätzung von Larissa Meier nicht, um deutlich mehr Menschen anzusprechen. „Soziale Bewegungen bieten bestimmte Interpretationsangebote, mit denen sie versuchen zu mobilisieren“, beschreibt sie die Lage. „Je mehr sie an Meinungen anknüpfen, die in der Gesellschaft vorherrschen, desto besser können sie mobilisieren. Daran fehlt es im aktuellen Ukraine-Krieg.“ (Pitt von Bebenburg)