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Ukraine-Krieg: Darum brauchen wir eine feministische Außenpolitik

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„Überwiegend sind dort Frauen auf der Flucht“: Menschen an einem ukrainisch-polnischen Grenzübergang.
„Überwiegend sind dort Frauen auf der Flucht“: Menschen an einem ukrainisch-polnischen Grenzübergang. © dpa

In Kriegen leiden Frauen besonders unter den harten Realitäten der Kämpfe, des Hungers und der Einsamkeit. Helfen könnte eine feministische Außenpolitik.

Kiew – Krieg stellt Frauen vor besondere Herausforderungen, wie sich gegenwärtig in Form des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands in der Ukraine zeigt. Überwiegend sind dort Frauen auf der Flucht und müssen das Überleben ihrer Familien sichern.

Sie sind aber auch Kämpferinnen oder unterstützen das ukrainische Militär. Kriege vergrößern die Geschlechterungleichheit noch weiter: So sind es überwiegend Frauen und Menschen aus der Gruppe der LGBTIQplus, die von Armut und Hunger oder sexualisierter Kriegsgewalt bedroht sind oder von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. Eine feministische Perspektive auf Krieg und Sicherheit konzentriert sich auf das Sichtbarmachen geschlechtsspezifischer Gewalt im Krieg, aber auch im Alltag, und kritisiert eine exklusive, nur auf militärischer Sicherheit basierende Außenpolitik.

Eine feministische Außenpolitik blickt auf die Lebensrealitäten von Frauen und LGBTIQplus Personen und erkennt diese als Grundlage außenpolitischen Handelns an. Alleinerziehende Frauen haben seit der Zuspitzung des Krieges in der Ukraine einen Anteil von 93 Prozent. 80 Prozent der Single-Haushalte sind weiblich, viele Frauen sind geblieben, um Angehörige zu pflegen.

Frauen in der Ukraine und im Krieg: 80 000 Frauen werden Kinder zur Welt bringen

Pflegebedürftige Menschen und solche mit besonderen Bedürfnissen sind besonders gefährdet und bedroht von der humanitären Krise als Folge von Krieg und Zerstörung. Frauen und Mädchen sind jetzt einem hohen Risiko sexualisierter Kriegsgewalt ausgesetzt, gerade auch in den von Russland eroberten Gebieten in Donezk und Luhansk.

In vielen Regionen ist die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen, Krankenhäuser wurden von Russland gezielt bombardiert. Allein 80 000 Frauen werden in den nächsten drei Monaten Kinder zur Welt bringen.

Zur Serie

Die Menschen brauchen Frieden, aber es herrscht der Ukraine-Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?

In der Serie #Friedensfragen suchen Fachleute nach Antworten auf viele drängende Fragen. Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der FR entsprechen.

Alle Beiträge finden sich auch auf unserer Homepage.

Der nächste Beitrag erscheint am Dienstag (21.Juni).

Eine feministische Perspektive macht deshalb den engen Zusammenhang zwischen menschlicher Sicherheit und Fürsorge sichtbar, die primär Frauen leisten. Reproduktive Gesundheitsfürsorge sicherzustellen, sollte eines der wichtigsten Ziele einer feministischen Außenpolitik sein. Deutschland sollte hier schnelle Hilfe beim Wiederaufbau von Krankenhäusern und der Sicherstellung von Gesundheitsversorgung auch in aktiven Kampfgebieten leisten, inklusive eines sicheren Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen.

Ukraine Zufluchtsort für LGBTIQplus: Menschen aus Russland ins Nachbarland geflüchtet

Eine feministische Perspektive auf Krieg und Sicherheit ist gleichzeitig inklusiv und divers, sie richtet den Blick auf Minderheiten und ihre Menschenrechte. In der Ukraine lebt der größte Anteil staatenloser Bevölkerung in Europa, die meisten sind Roma, die in prekären Verhältnissen leben.

Simone Wisotzki.
Simone Wisotzki ist Projekt- leiterin beim Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). © privat

Viele queere Menschen sind aus Russland und Weißrussland in die Ukraine geflohen, weil sie in ihren Herkunftsstaaten starken Repressionen ausgesetzt waren, und sehen sich jetzt mit dem russischen Angriffskrieg konfrontiert. Russland erlebt schon seit längerer Zeit einen deutlichen „gender backlash“ – also die Umkehrung von Frauenmenschenrechts- und Gleichstellungsnormen, die auch LGBTIQplus betrifft.

Victoria Scheyer.
Victoria Scheyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der HSFK in Frankfurt. © privat

Der russische Präsident Putin hat Konzepte stereotyper Männlichkeit und Weiblichkeit als Instrumente im Kampf um seine politische Legitimität genutzt. Sie wurden zum Teil seiner imperialen Ideologie, mit der er seinen absoluten Führungsanspruch zu untermauern suchte. Putin inszeniert sich als starker Mann, toxische Männlichkeit wird kultiviert und mit Aggressivität ebenso wie mit Kriegsrhetorik verknüpft.

Ukraine-Krieg: Wehrdienstverweigerung als Menschenrecht und Asylgrund

Da in Russland und in der Ukraine Männern die Flucht verwehrt wird, sollte Deutschland für beide Länder Wehrdienstverweigerung als Menschenrecht und Asylgrund anerkennen. Auch das wäre eine Forderung feministischer Außenpolitik.

Feministische Friedensforschung zeigt, dass Staaten, deren Gesellschaften geschlechtergerecht organisiert sind, weniger Kriege führen. Die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen lässt Friedensschlüsse deutlich stabiler sein. Die Forschung zeigt aber auch, dass an nur weniger als zehn Prozent der Friedensverhandlungen weltweit Frauen beteiligt worden sind.

Die sehr aktive Zivilgesellschaft in der Ukraine, wie zum Beispiel der „Ukrainische Frauenfonds“ und zahlreiche lokale Initiativen, wie die „Women’s Initiative for Peace in Donbass“, arbeiten für eine starke Beteiligung von Frauen, anhaltenden Dialog und Geschlechtergerechtigkeit. Diese Gruppen gezielt finanziell zu unterstützen und von der Politik die Beteiligung von gendersensiblen Friedensvermittler:innen zu fordern, wäre ebenfalls ein wünschenswerter Beitrag einer deutschen feministischen Außenpolitik. (Simone Wisotzk/Victoria Scheyer)

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