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Ex-US-General Petraeus im Interview: „Russen noch ungeschickter als erwartet“

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Von: Jan Dirk Herbermann

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Die schmalen Schleifen des Sieges an einem Kanonenrohr in Kiews „Panzerwrack-Museum“. Kay Nietfeld/dpa
Die schmalen Schleifen des Sieges an einem Kanonenrohr in Kiews „Panzerwrack-Museum“. Kay Nietfeld/dpa © Kay Nietfeld/dpa

Ex-US-General David Petraeus im FR-Interview über das Versagen Putins, das Können Kiews und Russlands ausbleibenden Kulturwandel.

Herr Petraeus, was ist für Sie die größte Überraschung dieser Invasion, die Wladimir Putin befohlen hat?

Nun, zunächst einmal sollte ich anmerken, dass ich in einem Interview mit dem Magazin The Atlantic eine Woche vor der russischen Ukraine-Invasion vorausgesagt habe, dass die Truppen Putins die Hauptstadt Kiew niemals einnehmen, geschweige denn kontrollieren würden. Davon abgesehen haben sich die Russen als noch ungeschickter erwiesen als vielfach erwartet, und zwar buchstäblich auf der ganzen Linie. In strategischer Hinsicht, bei der Planung ihrer Militärkampagne, bei der operativen Führung, bei der tatsächlichen Umsetzung ihrer Militäraktionen, bei der Logistik und bei ihrem schockierenden Mangel an taktischem Fachwissen und Training. Zudem haben die Russen ihre Waffen und Kommunikationssysteme nicht auf einen modernen Stand gebracht. Darüber hinaus haben sie die Fähigkeiten des ukrainischen Militärs, die Entschlossenheit des angegriffenen Volkes und die Unterstützung Kiews durch die USA, andere Nato-Länder und westliche Partner völlig unterschätzt.

Das sind gravierende Fehler …

Abgesehen von diesen Defiziten aber verfügt Russland nach wie vor über eine beachtliche Masse an Soldaten, Artillerie, Raketen, Drohnen und anderen Waffensysteme. Und natürlich besitzen die Russen viele Rohstoffe, die es ihnen ermöglichen, Sanktionen und Ausfuhrkontrollen zu umgehen. Allerdings schaffen sie es nicht, sich den Restriktionen völlig zu entziehen.

Petraeus über Putins Versagen

Haben Putin und seine Generale aus ihrem Versagen gelernt?

Das ist noch nicht klar. Offen gesagt, sind die Mängel so erheblich, dass sie wesentliche Änderungen in der Art und Weise erfordern, wie Russland seine Streitkräfte ausbildet, trainiert, ausrüstet, organisiert, strukturiert, einsetzt und führt. Einiges von dem, was erforderlich ist, ist in der Tat ein echter „kultureller“ Wandel, so zum Beispiel die Aufstellung eines professionellen Unteroffizierskorps oder die Förderung der Eigeninitiative auf den unteren Ebenen. Das ist eine Aufgabe, die Jahre in Anspruch nehmen wird, und nicht kurzfristig zu bewerkstelligen ist. Sicherlich könnten einige Ausbildungsaufgaben in Monaten erledigt werden, doch scheint Russland nicht bereit zu sein, diese Zeit zu investieren.

Wie sehen die wahrscheinlichsten Szenarien für das Ende dieses Krieges aus?

Ich denke, dass der Krieg schließlich in einer Verhandlungslösung enden wird. Das wird kommen, wenn Russlands Führung erkennt, dass der Krieg weder auf dem Schlachtfeld noch an der Heimatfront durchzuhalten ist. Leider kann ich nicht vorhersagen, wann diese Bedingungen gegeben sein werden.

Wir in den USA und im Westen sollten alles tun, was wir nur irgendwie können, um die Ukraine zu unterstützen und den Tag schneller herbeizubringen, an dem Wladimir Putin erkennt, dass der Krieg in der Ukraine und zu Hause in Russland unhaltbar ist.

David Petraeus

Was meinen Sie konkret?

Auf dem Schlachtfeld haben die Russen wahrscheinlich schon jetzt achtmal mehr Verluste erlitten als die Sowjetunion in fast einem Jahrzehnt Krieg in Afghanistan. An der Heimatfront haben die finanziellen, wirtschaftlichen und persönlichen Sanktionen und Handelsbeschränkungen eine Rezession verursacht. Die Strafmaßnahmen gegen Russland müssen jedoch noch verschärft werden. Wir in den USA und im Westen sollten alles tun, was wir nur irgendwie können, um die Ukraine zu unterstützen und den Tag schneller herbeizubringen, an dem Wladimir Putin erkennt, dass der Krieg in der Ukraine und zu Hause in Russland unhaltbar ist.

Petraeus über eine mögliche neue Offesive Russlands

Das ukrainische Verteidigungsministerium warnt, Russland bereite eine neue Offensive vor. Wann rechnen Sie mit einer umfangreichen Aktion einer der beiden Konfliktparteien?

Es hat den Anschein, dass Russland die Voraussetzungen für eine neue Offensive im Donbass, möglicherweise im Gebiet Luhansk, schafft. Die Streitkräfte der Ukraine hingegen erhalten westliche Panzer, sie trainieren mit den neuen Systemen und bereiten sich auf eine Gegenoffensive irgendwo im Süden vor. Es ist schwer vorherzusagen, wann eine der beiden Offensiven starten wird. Das Wetter wird einen großen Teil dazu beitragen, wann die Befahrbarkeit des Geländes das zulässt.

Nun erwarten die Ukrainer westliche Kampfpanzer. Nach Angaben des ukrainischen Botschafters in Frankreich haben westliche Partner wie die USA, Deutschland und Großbritannien bisher 321 Kampfpanzer zugesagt. Kann deren Transfer den Krieg entscheidend beeinflussen, auch wenn die Russen den Ukrainern bei Truppenstärke, Waffen und Ausrüstung weiterhin zahlenmäßig überlegen sind?

Das könnte sein. Zumal die Ukrainer ihr gesamtes Land mobilisiert haben, während die Russen nur teilweise mobilisiert wurden.

Sie sagten jüngst, dass ein Kampfpanzer „das Kernstück ist, um das herum alles andere aufgebaut wird“. Sind die Ukrainer in der Lage, den Kampfpanzer in enger Kooperation und Abstimmung mit anderen Systemen einzusetzen, beherrschen sie also das sogenannte Gefecht der verbundenen Waffen?

Die Ukrainer trainieren schon seit geraumer Zeit für solche Aufgaben, und ich bin zuversichtlich, dass sie in der Lage sein werden, „alles zusammenzufügen“, das heißt alle Waffen wirksam zur gegenseitigen Unterstützung einzusetzen. Panzer sind kein Relikt der Vergangenheit, wenn sie richtig eingesetzt werden. Das heißt: Wenn sie zusammen mit Infanterie, Pioniertruppe, Artillerie, elektronischer Kriegsführung, Luftabwehr, Minenräumern und Drohnen zum Einsatz kommen.

David Petraeus.
David Petraeus. © Getty Images via AFP

Zur Person

David Petraeus (70) gehört zu den bekanntesten US-Kommandeuren der jüngeren Geschichte. Der Vier-Sterne-General diente mehr als 37 Jahre und befehligte die Multi-National Force im Irak. Er hatte das Kommando über das „US Central Command“ inne und er führte die Koalitionstruppen in Afghanistan. Nach seinem Ausscheiden aus dem Militär führte er die CIA. Heute ist Petraeus Partner bei der Investmentfirma KKR und Vorsitzender des KKR Global Institute. jhe

Petraeus unterstützt Lieferung von Kampfflugzeugen

Die Ukrainer sind mit einer breiten Palette westlicher Waffensysteme ausgerüstet. Nun kommen die hochkomplexen „Abrams“, verschiedene Versionen des „Leopard“ aus mehreren Ländern, die britischen „Challenger“ und vielleicht die französischen „Leclerc“. Welche Herausforderungen und Risiken ergeben sich daraus für Logistik, Ausbildung und Einsatzfähigkeit der Ukrainer?

Die Herausforderungen werden beträchtlich sein. Aber die Ukrainer haben außergewöhnliche Fähigkeiten in der Mechanik, Informationstechnologie, Anpassungsfähigkeit und anderen Bereichen bewiesen. Sie können jeden kaputten oder nutzlosen Gegenstand reparieren oder in etwas Nützliches umwandeln.

Den Ukrainern fehlen Jets, Hubschrauber und Raketensysteme. Die Führung in Kiew verlangt von ihren westlichen Partnern vehement deren Lieferung. Befürworten Sie das?

Ich unterstütze die Bereitstellung von westlichen Kampfflugzeugen, Kampfhubschraubern und Raketen mit längerer Reichweite für die Ukraine. Wir waren bisher immer wieder übervorsichtig.

Interview: Jan Dirk Herbermann

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