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Jutta Ditfurth: Ukraine-Krieg als „willkommene Ausrede für Aufrüstung der Bundeswehr“

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Von: Katja Thorwarth

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Jutta Ditfurth, Politikerin der Ökologischen Linke, übt scharfe Kritik an der Aufrüstung der Bundeswehr während des Ukraine-Kriegs.
Jutta Ditfurth, Politikerin der Ökologischen Linke, übt scharfe Kritik an der Aufrüstung der Bundeswehr während des Ukraine-Kriegs. Die Aufnahme zeigt sie im April 2021. (Archivfoto) © Sebastian Gollnow/dpa

Die Politikerin Jutta Ditfurth hält die Aufrüstung der Bundeswehr während des Ukraine-Kriegs für falsch und fürchtet ein internationales Wettrüsten.

Frau Ditfurth, die Ampelregierung plant, den Bundeswehretat um 100 Milliarden Euro wegen des Ukraine-Kriegs zu erhöhen. Ist die Reaktion angemessen?

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Schock, die Gefühle und die Empathie der Menschen werden missbraucht, um dem deutschen Militär und den deutschen Rüstungskonzernen 100 Milliarden Euro zuzuschieben. Nirgends wurde erklärt, wofür genau diese irrwitzige Summe ausgegeben werden soll, und wie sie den Menschen in der Ukraine konkret helfen soll. Waffenlieferungen vergrößern und verlängern diesen Krieg und machen ihn immer furchtbarer. Russland ist hochgerüstet und muss auf anderem Weg dazu gebracht werden, den Krieg zu beenden. Es wurde ja auch beschlossen, dass der Anteil des Verteidigungshaushalts ab jetzt jedes Jahr auf mehr als 2 % des Bruttoinlandprodukts steigen soll.

Die Bundeswehr gilt aktuell als marode ...

Dass die Bundeswehr kaputt gespart wurde, ist eine jahrzehntelang von Interessengruppen geschürte Legende. Deutschland hat bereits heute einen der höchsten Wehretats der Welt und wird jetzt vermutlich weltweit von Platz 7 auf Platz 4 oder 3 der Staaten mit den höchsten Verteidigungsetats vorrücken. Als Antimilitaristin kann ich dieser Erhöhung der Aufrüstung niemals zustimmen. Wer den Rüstungswettlauf so anheizt, wie Deutschland das mit dieser Entscheidung getan hat, könnte am Ende für einen Atomkrieg mitverantwortlich werden.

Zur Person

Jutta Ditfurth ist Autorin, Soziologin und politische Aktivistin. Für die kommunale Wählervereinigung ÖkoLinX-Antirassistische Liste wurde sie 2021 erneut in den Römer gewählt. Dort ist sie Fraktionssitzende von ÖkoLinX-ELF. Ditfurth schreibt historische und politische Sachbücher.

Wo soll das Geld überhaupt herkommen? 

Da die neue Bundesregierung eine Schuldenbremse beschlossen hat, wird das Geld direkt oder indirekt dem Sozialetat entzogen werden. Auch das Gesundheitswesen bräuchte dringend eine bessere Finanzierung. Und was wurde eigentlich aus dem Kampf gegen die Klimakatastrophe? Überall dort wird dieses Geld fehlen. Das bedeutet, die Klimakatastrophe wird beschleunigt. Die Armut wächst. Und selbst in kapitalistischen reichen Staaten, wie dem, in dem wir leben, wird nur noch eine privilegierte Minderheit die volle mögliche Gesundheitsversorgung genießen. Und wer an einen Aufschwung in Sachen sozialer Wohnungsbau glaubte, sollte aufhören zu träumen.

Dazu kommt, dass die umfassenden Sanktionen Russlands zu enormen Preissteigerungen auch in Deutschland führen werden, z.B. bei den Energiepreisen. Der seit Jahrzehnten verschleppte Ausbau erneuerbarer Energien und die absehbar teurere Ersatzbeschaffung für russisches Gas tun ihr Übriges. Wen wird das alles am meisten treffen? Die Ärmsten, die Lohnarbeitenden, die untere Mittelschicht, denn eine höhere Besteuerung des Kapitals oder der Reichen soll es mit dieser ach so „progressiven“ Koalition ja nicht geben.

Während des Ukraine-Kriegs: Ditfurth übt starke Kritik an Aufrüstung der Bundeswehr

Wer profitiert am meisten von dieser Neuausrichtung? Welche Firmen?

Ich bin sicher, dass bei allen deutschen Rüstungskonzernen nach Scholz‘ Verkündung der 100 Milliarden Euro die Champagnerkorken geknallt haben! Vermutlich hätte sich das eine CDU-Regierung nicht getraut – nicht, weil sie es etwa nicht gewollt hätte, sondern weil sie hätte befürchten müssen, dass SPD und Grüne in der Opposition dagegen gehalten hätten, gemeinsam mit den rot-grün nahestehenden Bewegungen.

Sind Sie enttäuscht von der SPD?

In ihrer ersten gemeinsamen Regierungszeit zwischen 1999 und 2005 haben SPD und Grüne Deutschland ja nicht nur am ersten Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt, dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien. Sie haben 2001 auch den Kriegseinsatz in Afghanistan beschlossen. Sie haben mit Hartz IV und der Agenda 2010 den Sozialstaat massiv geschwächt und mit einem Niedriglohnsektor die Altersarmut für Millionen Menschen festgeschrieben. Auch mit umfangreichen Steuersenkungen für das Kapital haben sie damals die CDU überholt.

Christian Lindner will eine der „schlagkräftigsten Armeen Europas“. Träumt er von Deutschland als militärischer Weltmacht?

Deutsche Großmachtvorstellungen gibt es seit der Gründung des Kaiserreichs. Das ist gewissermaßen ein Erbe Preußens. Am exzessivsten existierten sie im NS-Faschismus. Es gibt sie in Variationen heute in allen bürgerlichen und rechten politischen Strömungen in Deutschland, nicht nur bei Nazis. Auch im rechten Flügel der FDP. Deutschland will, so sehen es die Eliten aus Politik und Kapital, die hochgerüstete Führungsnation in EU-Europa sein. Der alte Großmachtplan wurde zwar modernisiert, aber nie aufgegeben.

Ditfurth: Ukraine-Krieg als „willkommene Ausrede für Aufrüstung der Bundeswehr“

Inwiefern?

Aus der vermeintlichen Verteidigungsarmee wurde seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion längst eine Armee, die deutsche Wirtschaftsinteressen in aller Welt, nicht nur am Hindukusch, mit Gewalt durchsetzen darf. Das ist überhaupt kein Geheimnis. Man muss nur die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ für die Bundeswehr über die Jahrzehnte vergleichen. Die Richtlinien von 2003 etwa erlauben deutsche Kriegseinsätze z.B. auch im Fall von „ungelösten Konflikten“ im Zusammenhang mit „wirtschaftlichen Interessen“ oder „Migrationsbewegungen“, wenn die „deutsche und europäische Sicherheit“ bedroht zu sein scheint. Das kann alles heißen.

Ex-General Kujat nennt den Ausbau der Bundeswehr gar einen „historischen Schritt“ ...

Da hat er leider im negativen Sinne recht. Der Krieg gegen die Ukraine und das Leid der Zivilbevölkerung sind die willkommene Situation und Ausrede für die größte Aufrüstung seit Gründung der Bundeswehr 1955. Nicht umsonst sehen wir zur Zeit Legionen von Militärs im deutschen Fernsehen, einen Wald von Uniformen, und eben keine oder kaum Friedens- und Konfliktforscher:innen, Politolog:innen und andere zivile Wissenschaftler:innen. Generäle verlangen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ungestraft nicht nur die Aufrüstung des Militärs, sondern auch die Militarisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins. Es geht darum, 77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, den verbreiteten Friedenswillen, den Pazifismus und den Antimilitarismus restlos zu marginalisieren.

Welche Folgen hat das für die deutsche Außenpolitik? Könnte das nicht der Anfang eines neuen Wettrüstens sein?

Ja, mit allen Gefahren. Weltweit stehen große Machtblöcke wie Russland, China und die USA in Konkurrenz zueinander und EU-Europa ist einer dieser Blöcke. Ob sich ihr Verhältnis zueinander und zu den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern auf ökonomische Gewalt beschränken wird oder in Zukunft noch häufiger militärische Gewalt einschließt, kann niemand vorhersagen. 

„Putin ist nicht gleich Russland“: Ditfurth wird wegen Ukraine-Krieg deutlich

Wie soll sich Deutschland gegenüber Russland verhalten?

Erstens sollte das bewusstlose Reden vom „verrückten“ Putin ein Ende haben. Er verfolgt einen Plan für ein neues großrussisches Reich vom Mittelmeer bis zum Nordmeer, seine Eurasien-Geostrategie. Er verfolgt dies nicht allein, hinter ihm steht ein wichtiger Teil des Staatsapparats, des Militärs und des russischen Kapitals, die gern als Oligarchen mystifiziert werden. Als ob es schwerreiche Menschen mit Luxusyachten, Privatflugzeugen und mit überbordendem politischen Einfluss nicht auch im Westen gäbe. Putin ist keine Einzelperson, sondern der Protagonist der reaktionären, nationalistischen und autoritären russischen Fraktion. Auch deshalb ist er der Held deutscher Nazis.

Zweitens ergibt ein bisschen Nachdenken und Analyse, dass Russland vielfältig ist, mit seinen Klassen und sozialen Schichten. In den Arbeitsbedingungen, in der Bildung, wie in der religiösen Bindung an die orthodoxe Kirche etwa. Es gibt große Unterschiede in den Städten und zwischen Städten und Provinzen.

Können Sie das konkretisieren?

Ich war oft in der Sowjetunion, anfangs als Politikerin für die Grünen und später nach den Grünen als Reporterin. Ich habe über streikende Bergleute in Sibirien, über die Katastrophe am Aralsee oder über Umweltschützer:innen in Leningrad berichtet, dem heutigen St. Petersburg. In Gesprächen mit Gorbatschow, Gromyko und Schewardnadse über Atomenergie und Afghanistan gestritten. Oppositionelle Journalistinnen, Literaten und Wissenschaftler getroffen. Auch das post-sowjetische Russland heute ist eine äußerst vielfältige Gesellschaft und kein monolithischer Block. Putin ist nicht gleich Russland.

Ukraine-Krieg: Ditfurth empfiehlt kritische Solidarität und Suche nach nicht-militärischen Wegen

Menschen gegen den Krieg müssen also viel aktiver werden?

Wir Kriegsgegner:innen sollten Kontakte mit Menschen suchen und wahrheitsgemäße Informationen über den Krieg gegen die Ukraine weitergeben. Gewissermaßen die russische Kriegs- und Propagandafront aufweichen. Aber auch keine Märchen über die Ukraine erzählen. Es gibt dort mehr und einflussreichere Nazis als in Deutschland, Rassisten und Nationalisten ebenso. Es gibt Korruption und Geschäftemacherei, ähnlich wie in Deutschland. Aber die meisten Menschen wollen einfach nur glücklich und gesund mit Familien und Freunden leben.

Ich empfehle kritische Solidarität und klaren Kopf bei den notwendigen Auseinandersetzungen mit allen Seiten. Und ich empfehle Formen der sozialen Verteidigung zu diskutieren, nicht-militärische Wege aus dem Krieg zu suchen, Abrüstungsverträge wieder in die Diskussion zu bringen, eine neue wirkliche Strategie der Sicherheit für alle zu diskutieren. Alle Alternativen zum Krieg wahrnehmen, wo immer es geht. (Interview: Katja Thorwarth)

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