1. Startseite
  2. Politik

Surreale Realitätsverzerrung im Ukraine-Konflikt: Russlands Staatsmedien im Kriegsmodus

Erstellt:

Von: Sonja Thomaser

Kommentare

Menschen aus den Regionen Donezk und Luhansk, die von einer pro-russischen Separatistenregierung in der Ostukraine kontrolliert werden, verfolgen die Ansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin
Menschen aus den Regionen Donezk und Luhansk, die von einer pro-russischen Separatistenregierung in der Ostukraine kontrolliert werden, verfolgen die Ansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin © Denis Kaminev/dpa

In der Ukraine sei es „ein ganz gewöhnlicher Tag“, „alles still und ruhig“. Wie das russische Staatsfernsehen den Ukraine-Konflikt darstellt, um staatstreu Putins Narrative zu stützen.

Moskau - „Die Straßen in der ukrainischen Hauptstadt sind still und ruhig“, sagte eine Nachrichtenmoderatorin des staatlichen russischen Fernsehsenders Perviy Kanal den Zuschauerinnen und Zuschauern einer Nachrichtensendung am Freitagmorgen (25.02.2022), während sie Live-Webcam-Aufnahmen von Kiew auf einem riesigen Bildschirm hinter ihrem Schreibtisch zeigte.

„Es ist auch ein gewöhnlicher Tag in Charkiw“, sagte sie, als das Filmmaterial zu einem Live-Stream eines verlassenen Stadtzentrums wechselte. „Vor dem Hintergrund der Lügen aus den westlichen Medien zeigen wir Ihnen genau, wie die Situation in ukrainischen Städten derzeit ist“, sagte die Moderatorin laut Moscow Times.

Die surreale Sendung ist eine Momentaufnahme, wie Russlands Invasion in die Ukraine im staatlichen Fernsehen dargestellt wird, während russische Streitkräfte die Ukraine bombardieren und Panzer in Richtung Kiew vorrücken. Die Stadt wurde in der Nacht und am Morgen von mehreren Explosionen erschüttert. Russische Truppen sind bereits weit in den Großraum Kiew vorgedrungen.

Ukraine-Konflikt: Putins Narrativ wird medial verbreitet

Am Donnerstag (24.02.2022) erklärte der russische Präsident Wladimir Putin* in einer Ansprache an die Nation, dass es sich um eine begrenzte „militärische Spezialoperation“ handele, um die Ukraine zu „entmilitarisieren“ und die Bürgerinnen und Bürger im Donbas vor dem, was er als ukrainischen „Genozid“ bezeichnete, zu schützen. Staatliche Fernsehsender haben auf Hochtouren geschaltet, um dieses Narrativ an eine etwas zögerliche russische Öffentlichkeit zu verbreiten.

„Die Ukrainer brauchen Russlands Spezialoperation nicht zu fürchten“, sagte ein Korrespondent des Nachrichtensenders Rossiya-24. Währenddessen laufen Schlagzeilen über den Bildschirm, die Russlands militärische Erfolge und eine angeblich unmittelbar bevorstehende Bedrohung durch die Ukraine* ankündigten. „Die Ukraine hat in den letzten sieben Minuten drei Raketen auf die Volksrepublik Donezk abgefeuert“, hieß es auf einem Banner mit Eilmeldungen laut Moscow Times.

Ukraine-Konflikt: Russische Medien lassen bestimmte Bilder aus

All dies steht in krassem Gegensatz zu Berichten anderer Medienorganisationen vor Ort. Bilder von russischen Raketenangriffen auf die ukrainische Hauptstadt, einem Feuergefecht mit ukrainischen Streitkräften um die Kontrolle eines Flugplatzes oder von Ukrainerinnen und Ukrainern, die aus Angst vor russischen Nachtangriffen in unterirdischen U-Bahn-Stationen schlafen*. In den russischen Medien sind solche Bilder nirgendwo zu finden.

Russlands Kommunikationswächter Roskomnadzor drohte am Donnerstag Medienunternehmen mit erheblichen Geldstrafen, wenn sie Bilder und Nachrichten-Updates senden, die nicht aus offiziellen russischen Quellen stammen, berichtet die Moscow Times. Analystinnen und Analysten glauben aber, dass solche Drohungen in Russlands sterilem Medienumfeld kaum nötig sind, wo Fernsehsender geschickt darin sind, die Erzählung des Kreml in ihrer Berichterstattung voranzutreiben – von aufgebauschten choreografierten Debattensendungen bis hin zu selektiven Nachrichtensendungen.

Ukraine laut russischen Medien kurz vor Eintritt in die Nato

Am Freitagmorgen wurden auf Rossiya-24 Bilder westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine gezeigt, während ein Moderator sagte: „Der Westen hat natürlich kein wirkliches Interesse an der Sicherheit der Ukraine, sondern will Russland eindämmen.“ Vor seiner Invasion stellte Russland* die Ukraine als kurz davor dar, der Nato* beizutreten. Die Erzählung von einer Bedrohung, die für Russland im Ukraine-Konflikt* ausgeht, muss geschürt werden.

In der morgendlichen Talkshow Vremya Pokazhet („Die Zeit wird es zeigen“) brachten die Moderatoren und Gäste – acht Männer – eine Schlagzeile aus der britischen Boulevardzeitung The Sun über die Besetzung von Tschernobyl durch die russischen Streitkräfte, als Teil eines Abschnitts, in dem die Reaktion der westlichen Medien kritisiert wurde, so die Moscow Times.

Ukraine-Konflikt: Keine Informationen über russische Vorstöße Richtung Kiew

Ansonsten wurden Informationen über russische Vorstöße und Aktionen jenseits des Donbas und der Krim nicht diskutiert. Die Aktualisierungen beschränkten sich auf Aussagen des russischen Verteidigungsministeriums über „Zerstörung militärischer Objekte“ und russische Streitkräfte, die „den ukrainischen Widerstand in Donezk einen weiteren Kilometer zurückdrängen“.

Videos des FSB, dem Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation, von ukrainischen Soldaten, die sich „weigerten, weiter auf dem Territorium ihres Landes zu dienen“, wurden hervorgehoben, ebenso wie körnige Smartphone-Aufnahmen aus den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die angeblich Schäden durch ukrainische Angriffe zeigten.

Gleichzeitig zeigte die westliche Berichterstattung Live-Aufnahmen eines zerstörten Wohnhauses in Kiew, das über Nacht von russischen Luftangriffen getroffen wurde. Westliche Medien brachten Berichte über verletzte Zivilistinnen und Zivilisten und Augenzeugenberichte über Explosionen und Schüsse in einem Vorort nördlich von Kiew, als sich russische Streitkräfte der ukrainischen Hauptstadt näherten.

Ukraine-Konflikt: Souveränität der Ukraine soll untergraben werden

Russlands Moderatorinnen und Moderatoren greifen Putins Narrativ über die Ukraine auf und sprechen von dem „derzeitigen Regime“ oder „die Situation auf dem Territorium der Ukraine“. Laut Moscow Times ist die Bezugnahme auf die Ukraine als „Territorium“ und nicht als Land oder Staat Teil der Kampagne des Kremls, um die Souveränität der Ukraine in den Augen der russischen Öffentlichkeit zu untergraben.

„Wir mögen es wirklich nicht, dass wir keine anderen Optionen hatten, aber das ist der Fall“, sagte Vremya Pokazhet-Gastgeber Artyom Sheynin, einer der bestbezahlten Propagandisten des Kremls, als er seine Gäste einlud, die Vorzüge der russischen Invasion abzuwägen. „Wir mussten diese Maßnahme ergreifen, um die Ukraine zu entmilitarisieren und für Sicherheit und Schutz zu sorgen.“

RT und Sputnik: Russische Medien in Deutschland

Auch in Deutschland beteiligten sich RT DE*, der deutschsprachige Ableger des international agierenden Kremlmediums, und SNA News, der deutsche Ableger des mehrsprachigen russischen Staatsmediums Sputnik, zuletzt intensiv am russischen Vorhaben, die ukrainische Regierung als Aggressor und Russland als friedlichen Beschützer der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine darzustellen.

„Putin beginnt militärische Sonderoperation zum Schutz des Donbas und Entnazifizierung der Ukraine“, titelt RT DE bereits um 4.30 Uhr am frühen Donnerstagmorgen laut Redaktions Netzwerk Deutschland (RND). Kein Angriffskrieg, sondern eine „Sonderoperation“. Keine Verletzung der ukrainischen Souveränität, sondern eine „Entnazifizierung“. Putins Worte werden hier ohne sie zu hinterfragen verbreitet.

Ukraine-Konflikt: Krieg der Informationen

Seine Propagandainfrastruktur lässt sich der russische Staat einiges kosten: RT und Sputnik betreiben ihre Onlineangebote, Radio- und Fernsehsender in mehreren Sprachen und Ländern. Dazu kommen die Videoagentur Ruptly und mehrere Spartenkanäle in den sozialen Medien.

Der russische Staat versucht den Krieg in der Ukraine auch durch gezielte Falsch- und Desinformation zu gewinnen und so die Handlungen des Kreml zu legitimieren und Unterstützung zu finden. Der Krieg in der Ukraine ist in einem nicht zu unterschätzenden Anteil auch ein Krieg der Informationen. (sot)

Auch interessant

Kommentare