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Ukraine-Beitritt zur EU: „Haben Selenskyj nicht versprochen, dass es schnell geht“

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Katarina Barley spricht sich im IPPEN.MEDIA-Interview für die EU-Kandidatur der Ukraine aus. Die Vize-EU-Parlamentspräsidentin warnt jedoch vor einem beschleunigten Beitritt.

Brüssel – Die Ukraine befindet sich aktuell auf der Überholspur Richtung EU-Beitrittskandidatur. Nach dem Besuch von Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Mario Draghi und dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis vergangene Woche in Kiew rückt das Land mitten im eskalierten Ukraine-Konflikt einem möglichen EU-Beitritt einen Schritt näher. „Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine. Das gilt auch für die Republik Moldau“, sagte Olaf Scholz bei seiner Kiew-Reise. Jetzt steht das Land tatsächlich kurz davor, den Beitrittskandidaten-Status verliehen zu bekommen. Die Entscheidung dürfte der EU-Gipfel am 23. und 24. Juni bringen.

Auch Katarina Barley (SPD), Vize-Präsidentin des Europaparlaments, hatte sich im Interview mit IPPEN.MEDIA dafür starkgemacht. Gleichzeitig warnte sie davor, den Beitrittsprozess zu beschleunigen: „Es sind gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj keine Versprechungen gemacht worden, dass es jetzt schnell geht. Am Beispiel der Türkei sieht man, dass das kein Selbstläufer ist. Das Land muss dafür etwas tun.“

Es sind gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj keine Versprechungen gemacht worden, dass es jetzt schnell geht. Am Beispiel der Türkei sieht man, dass das kein Selbstläufer ist. Das Land muss dafür etwas tun.

Europapolitikerin Katarina Barley

Ukraine kurz vor EU-Beitrittsstatus: Katarina Barley betont Symbolik – und warnt vor beschleunigtem Prozess

Dennoch ist einmalig, was sich beim EU-Gipfel abspielen dürfte, wenn der Europäische Rat und damit die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten zusammenkommen und sich für die Ukraine als EU-Beitrittskandidat entscheiden: Niemals zuvor wurde der Status einem Land verliehen, das sich im Krieg befindet – und noch nie wurde in so hoher Geschwindigkeit darüber verhandelt. Erst Ende Februar, kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den EU-Beitritt beantragt. Kein Wunder, dass bereits jetzt das Wort „historisch“ überall die Runde macht: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer „historischen Entscheidung“. Der ukrainische Ministerpräsident Wolodymyr Selenskyj kündigte eine „historische Woche“ an. Und sein Außenminister Dmitro Kuleba warnte vor einem „historischen Fehler“, sollte der EU-Beitrittsgesuch abgelehnt werden.

Der rumänische Präsident Klaus Johannis, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der italienische Premierminister Mario Draghi, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron treffen am 16. Juni 2022 zu einer Pressekonferenz im Mariinsky-Palast in Kiew ein.
Der rumänische Präsident Klaus Johannis, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der italienische Premierminister Mario Draghi, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron treffen am 16. Juni 2022 zu einer Pressekonferenz im Mariinsky-Palast in Kiew ein. © LUDOVIC MARIN/AFP

Aber ist der EU-Beitrittskandidaten-Status nun ein Meilenstein für die Ukraine oder doch bloß reine Symbolpolitik? Im IPPEN.MEDIA-Interview kassierte Katarina Barley diesen vielfach geäußerten Vorwurf. Die Bedeutung eines solchen Schrittes dürfe nicht unterschätzt werden. Barley: „Es ist ein klares Statement, zu signalisieren: Wir sagen das jetzt nicht nur und wenn der Krieg vorbei ist, haben wir es vergessen, sondern wir starten mit euch einen Prozess. Dabei werden viele Veränderungen auf die Ukraine zukommen. Aber es ist der Start des ganzen Verfahrens.“

Dass der Status Beitrittskandidat trotzdem keine Abkürzung zum vollständigen EU-Mitglied ist, wissen Länder wie Serbien und die Türkei nur allzu gut. „Das ist kein Selbstläufer, es dauert so lange, wie es eben dauert“, unterstrich auch Barley – mit Fingerzeig auf die Kopenhagener Kriterien, die Aufnahmekriterien der Europäischen Union, von denen Kiew noch „sehr weit entfernt“ sei.

Ukraine-Krieg bringt EU-Beitritt auf den Tisch – Katarina Barley verweist auf Westbalkan

Und dann sind da noch die Länder des Westbalkans, die seit Jahren im EU-Beitrittsverfahren verharren. Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg knüpfte die Zustimmung Österreichs für die Ukraine als EU-Kandidat an die Forderung konkreter Beitrittsperspektiven für den Westbalkan. Kanzler Olaf Scholz stattete dem Westbalkan vor seiner Kiew-Reise einen Besuch ab und versprach verstärkte Anstrengungen für die Aufnahme der sechs Länder in die Europäische Union. Auch Katarina Barley warnte davon, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien auf dem Weg zu verlieren.

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Gleichwohl: Geht es um eine erneute Erweiterungsrunde der EU, taucht reflexartig eine Frage auf. Muss die EU sich nicht erst einmal selbst reformieren, bevor überhaupt Gedanken an weitere Mitgliedsstaaten gesponnen werden sollten? Besonders das lähmende Einstimmigkeitsprinzip der Europäischen Union ist für viele ein Dorn im Fleisch des EU-Apparates.

Die Vize-Parlamentspräsidentin der EU, Katarina Barley (SPD) warnt vor einem beschleunigten Beitritt der Ukraine.
Die Vize-Parlamentspräsidentin der EU, Katarina Barley (SPD), im IPPEN.MEDIA-Interview: Ist Beitrittsstatus der Ukraine reine Symbolik? Den Vorwurf kassiert die Europapolitikerin direkt ein – warnt jedoch vor einem beschleunigten Beitritt. © JOHN MACDOUGALL/AFP

Doch Europapolitikerin Katarina Barley sieht gerade in der EU-Kandidatur der Ukraine eine Chance dafür. „Im Moment ist dieser Prozess auf dem Weg. Wir hatten die Konferenz zur Zukunft Europas, bei der 49 Vorschläge erarbeitet wurden, die in weiten Teilen in die Richtung Reformbedarf gehen. Bisher ist jedoch der Wille der Mitgliedsstaaten, diese auch umzusetzen, noch überschaubar“, sagte Barley. „Wenn man aber das verbindet und sagt, ja wir wollen alle, dass die Ukraine ein Mitglied wird, aber um das zu tun, müssen wir uns reformieren, könnte das ein entscheidender Schubser sein.“ (aka)

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