Wie Deutschland jetzt von Putins Öl loskommen will - und warum DDR-Altlasten das so schwierig machen

Pipelines aus Ostblock-Zeiten und der Einfluss russischer Konzerne haben enorme Abhängigkeiten geschaffen. Wir analysieren, wie der Ausstieg aus russischem Öl trotzdem gelingen kann.
Mehr als ein Drittel des in Deutschland verarbeiteten Öls stammt aus Russland. Angesichts des andauernden Ukraine-Konflikts* will die Bundesregierung nun möglichst schnell alle russischen Energie-Importe ersetzen. Es müssen Alternativen her, um 27 Millionen Tonnen Rohöl, die 2021 noch in Russland gekauft wurden, zu ersetzen. Aber wie kann das klappen?
Dieser Artikel zu Erdöl ist Auftakt für unsere datenjournalistische Serie zu russischen Energie-Importen. Angesichts des Ukraine-Kriegs sucht die Bundesregierung für Öl, Erdgas und Kohle händeringend nach alternativen Energiequellen.
Erdöl aus Russland: Pipeline-Netz aus DDR-Zeiten ist eine Herausforderung
In Deutschland stellen insgesamt 16 Raffinerien aus Rohöl diverse Kraftstoffe wie Heizöl, Benzin, Diesel oder Kerosin her. Pipelines versorgen die Fabriken mit dem benötigten Öl. Ein Blick auf den Verlauf der Leitungen zeigt: Das deutsche Pipeline-Netz ist dreigeteilt. Eine Trasse aus Italien versorgt den Süden. Nord- und westdeutsche Raffinerien beziehen den Rohstoff von Hafenterminals an der deutschen und niederländischen Nordsee. Die ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna sind zwar zusätzlich an die Häfen Rostock und Danzig angeschlossen, erhalten ihr Öl aber vor allem aus Russland*. Verbindungen zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es nicht. Das zeigt auch die untenstehende Karte.
Die ostdeutsche Infrastruktur stammt noch aus DDR-Zeiten. Bis zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands 1990 baute Ostdeutschland auf Beziehungen zur damaligen Sowjetunion. Selbst das via Seeweg nach Deutschland importierte Öl stammt zu einem Viertel aus Russland, wie das Statistische Bundesamt festhält.
Energie-Krise: Neun von zehn Berliner Autos fahren mit Sprit aus russischem Öl
Die ostdeutschen Raffinerien Leuna und Schwedt beziehen Rohöl vorrangig aus Russland. Sie verarbeiten fast ein Viertel der gesamtdeutschen Ölmenge. Neun von zehn Autos in Berlin und Brandenburg fahren alleinig mit Kraftstoff aus der Raffinerie in Schwedt, wie das Unternehmen selbst angibt. Russisches Öl ist also bedeutend für die deutsche Energieversorgung.
Wie will die Bundesregierung angesichts der neuen Lage diese über Jahrzehnte gewachsene Struktur aufbrechen? Eine mögliche Lösung präsentierte das Bundeswirtschaftsministerium im März in einem Bericht. Demnach wird derzeit rund ein Drittel des aus Russland importierten Öls in der ostdeutschen Raffinerie in Leuna verarbeitet, ein Drittel in Schwedt und ein letztes Drittel in westdeutschen Raffinerien. Folgenden plant das Ministerium für die drei Standorte:
- Die Raffinerie in Leuna hat seine Kaufverträge bereits angepasst. Ab Mitte April 2022 wird nur noch halb so viel Öl aus Russland importiert wie bisher. Öl aus anderen Ländern kann über den Hafen in Rostock geliefert werden oder von Westdeutschland per Zug und Lastwagen. Um auch Lieferungen über den Hafen in Danzig zu ermöglichen, verhandelt Robert Habecks Ministerium derzeit mit der polnischen Regierung.
- Problematischer ist die Situation in Schwedt. Der russische Staatskonzern Rosneft hält überwiegende Anteile an der Raffinerie und bestimmt maßgeblich, welches Rohöl verarbeitet wird. Daher sei eine „freiwillige Beendigung der Lieferbeziehungen mit Russland deutlich schwieriger“. Eine Lösung war bisher noch nicht in Sicht. Am Freitag, 1. April, gab das Wirtschaftsministerium jedoch bekannt, Robert Habeck prüfe eine Verstaatlichung und Enteignung des Rosneft-Konzerns.
- Die westdeutschen Raffinerien hingegen sind gut an andere Quellen angebunden. Somit lässt sich dort russisches Öl einfacher ersetzen, heißt es im Bericht des Wirtschaftsministeriums.
Robert Habeck sucht alternative Energiequellen
Derzeit hält Rosneft laut eigenen Angaben 54 Prozent der Anteile an der Raffinerie in Schwedt. Nur drei Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine erlaubte das deutsche Kartellamt den Kauf weiterer 37 Prozent. Die Zustimmung des Wirtschaftsministeriums steht noch aus. Die enorme Dominanz des russischen Konzerns ist ein besonderes Problem. Das benennt das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Fortschrittsbericht auch ziemlich klar.
Es rächt sich, dass trotz des Krim-Kriegs ein russischer Energiekonzern so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat. Die Bundesregierung kümmert sich intensiv darum, dieses komplexe Problem zu lösen, um so die völlige Unabhängigkeit von russischem Öl zu erreichen.
Russland ist der zweitgrößte Exporteur im Erdöl-Weltmarkt. Im Jahr 2020 stammten damit knapp elf Prozent des global exportierten Öls aus Russland. Wenn angesichts des Ukraine-Kriegs* nun viele Länder auf russische Importe verzichten wollen, könnte sich das noch einmal erheblich auf den Ölpreis auswirken. Wie jeder Haushalt kurzfristig Energie und Geld sparen kann, lesen Sie in unserer Daten-Analyse zu Heizen und Autofahren.
Insgesamt muss und will nun Wirtschaftsminister Robert Habeck schnelle Veränderungen erreichen: Durch Vertragsumstellungen in Westdeutschland und der Raffinerie in Leuna soll die Abhängigkeit von russischem Öl bereits „in den kommenden Wochen und Monaten“ von 35 auf 25 Prozent sinken. Bis Juli plant das Ministerium, nur noch rund 17 Prozent des importierten Öls aus Russland zu beziehen. Und schon bis zum Jahresende 2022 soll Deutschland seinen letzten Liter russisches Öl gekauft haben.
Von Luisa Billmayer. *FR.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
Unsere Daten, Quellen und Methoden
Die Daten für diesen Artikel stammen aus unterschiedlichen Quellen: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen gibt in seinen amtlichen Mineralöldaten den Anteil und absolute Summen russischer Öl-Importe an. Die Verläufe des deutschen Erdöl-Pipeline-Netzes basiert auf den Daten des Global Energy Monitors und Informationen und Erklärungen des Wirtschaftsverband Fuels und Energie en2x. Erdöl-Importe im Seeverkehr dokumentiert das Statistische Bundesamt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erfasst in seiner Energiestudie die weltweit größten Erdöl-Exporteure. Außerdem wurde der Fortschrittsbericht Energiesicherheit des Bundeswirtschaftsministeriums herangezogen. Für Details stellten wir mehrere Presseanfragen an das Ministerium.