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Die Unzeiten einer Frau

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Von: Tatjana Coerschulte

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Leipziger Buchmesse 2017. Die Gewinnerin des Preises der Leipziger Buchmesse , Natascha Wodin ( Belletristik Sie kam aus Mariupol ) am 23.03.2017 auf der Leipziger Buchmesse.
Die Gewinnerin des Preises der Leipziger Buchmesse 2017, Natascha Wodin. © Imago

In dem Roman „Sie kam aus Mariupol“ geht die Schriftstellerin Natascha Wodin dem Leben ihrer Mutter nach. Die politische Medienkolumne „Polopolis“.

Eine Frau, die dem Leben ihrer Mutter nachspürt – ist das politisch? Ja, wenn die Mutter eine ukrainische Zwangsarbeiterin war und die Frau eine Schriftstellerin von der Qualität Natascha Wodins (im Bild) ist. „Sie kam aus Mariupol“ ist eine Annäherung an ein Leben, das auf bestürzende Weise den Terror Stalins und den Vernichtungskrieg Hitlers verbindet.

Der Roman

Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol. Rowohlt, Hamburg 2018. 368 S., 12 Euro. Auch als Hörbuch erhältlich, gesprochen von Dagmar Manzel.

Wodin gibt einer Frau ein Gesicht, die in ihrem „katastrophalen Leben“, wie sie schreibt, immer zur falschen Zeit am falschen Ort war, ohne je etwas dafür zu können. Als Tochter einer Adeligen und eines Unternehmers wird Jewgenia Iwaschtschenko kurz nach der Russischen Revolution im ukrainischen Mariupol geboren, in ihrer Kindheit von der neuen Gesellschaft der Kommunisten als „Klassenfeindin“ entrechtet und gemieden, als junge Frau von den Nazis als „slawischer Untermensch“ verschleppt und für deren Rüstungsproduktion versklavt.

Die Aufgabe der Medien.
Die Aufgabe der Medien. © FR

Die beeindruckend klare Sprache, in der Wodin sich in die jeweiligen Lebensumstände ihrer Mutter einfühlt, Historie beschreibt und persönliche Erinnerungen einwebt, steht im Kontrast zu dem beklemmenden Inhalt. Eine leichte Lektüre ist die Biografie nicht, aber sie ist gewinnbringend, besonders nach dem 24. Februar 2022. Vielleicht findet man ja den ukrainischen Ex-Botschafter Andrej Melnyk nicht mehr ganz so undiplomatisch, wenn man liest, dass schon die Deutschen Mariupol zerstörten, indem sie 1943 mit Flammenwerfern von Haus zu Haus gingen?

„Sie kam aus Mariupol“ ist im Jahr 2017 erschienen; wer es noch nicht gelesen hat, sollte das jetzt tun. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist es frappierend aktuell.

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