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Türkische Universitäten steigen auf Fernunterricht um

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Von: Yağmur Ekim Çay

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Parlamentssprecher Mustafa Sentop und der Vorsitzende der Oppositionspartei CHP Kemal Kiliçdaroglu (v.l.n.r.) bei der Beerdigung des CHP-Politikers Deniz Baykal. Erdogans Entscheidungen im Umgang mit dem Erdbeben werden von der Opposition kritisiert.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Parlamentssprecher Mustafa Sentop und der Vorsitzende der Oppositionspartei CHP Kemal Kiliçdaroglu (v.l.n.r.) bei der Beerdigung des CHP-Politikers Deniz Baykal. Erdogans Entscheidungen im Umgang mit dem Erdbeben werden von der Opposition kritisiert. © afp

Staat bringt Erdbebenopfer in Studierendenwohnheimen unter / Opposition und Gewerkschaft kritisieren Erdogan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat angekündigt, dass die türkischen Universitäten in einen Fernbetrieb gehen, damit die Studierendenwohnheime der türkischen Anstalt für Kredite und Heime für Jugendliche (KYK) an Erdbebenopfer vergeben werden können. Laut Erdogan soll der Unterricht an den Universitäten bis zum Wintersemester 2023 ausfallen. Dieser Schritt sorgte in der Türkei für heftige Kritik, Opposition und Bildungsgewerkschaft weisen auf die mangelnde Planung der Regierung im Angesicht einer solchen Katastrophe hin. Auch Studierende leiden darunter.

„Alle KYK-Wohnheime in der Türkei werden bis zum Ende des Sommers den Erdbebenopfern zur Verfügung gestellt. Wir sagen den Betrieb unserer Universitäten bis zu den Sommermonaten ab und stellen auf Fernunterricht um“, sagte Erdogan am Wochenende. „Hoffentlich werden wir die Rettungsarbeiten schnell abschließen und keinen unserer Bürger tot oder lebendig unter den Trümmern zurücklassen. Wir werden die Bau- und Wiederaufbauarbeiten innerhalb eines Jahres abschließen.“

„Räum deinen Palast“

Viele Oppositionelle halten diese Entscheidung für falsch. „Die psychische Gesundheit unserer Jugend hat unter Covid gelitten. Lasst uns unseren jungen Menschen nicht noch mehr Schaden zufügen“, sagt der CHP-Chef Kemal Kiliçdaroglu, „Unsere Jugend ist alles, was wir noch haben.“ Auch die HDP und die Türkische Arbeiterpartei (TIP) haben die Entscheidung kritisiert. „Mit der Schließung der Universitäten schafft man nur neue Opfer“, schrieb der kurdischer Politiker Selahattin Demirtas, der zurzeit im Gefängnis ist, auf Twitter. „Räume deinen Palast, anstatt die Studentenwohnheime zu evakuieren“ ist das Motto. Erdogan solle aus seinem Über-1000-Zimmer-Anwesen ausziehen, wenn er Platz für die Opfer schaffen will.

Im Internet klagen Studierende über ihre Notlage. Sie hätten über Nacht ihre Wohnheime räumen müssen. Auch diejenigen, die aus Erdbebengebieten kommen, wurden aufgefordert, ihre Wohnheime innerhalb von einem Tag zu verlassen. „Gestern Abend haben sie meiner Schwester gesagt, sie solle nach Ankara kommen und ihre Sachen aus dem Wohnheim holen. Es gibt keine Flugtickets, keine Bustickets für Tage“, schrieb eine Studentin aus dem Erdbebengebiet auf Twitter. „Unsere Familien sind tot. Bei vielen von uns wurden die Häuser zerstört. Werden diese Leute jetzt daran denken, ihre Sachen zu holen, und wenn ja, wohin werden diese Menschen sie zurückbringen? Das ist wirklich unlogisch“, so die Studentin weiter.

„Bildung nicht opfern“

Die Türkische Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige wies darauf hin, dass der Staat die Möglichkeit habe, Zehntausende fertiggestellte aber leere Wohnungen zu nutzen. Außerdem gebe es Hotels und institutionelle Gästehäuser, die den Erdbebenopfern angeboten werden können. Es sei unverständlich, zuerst die Wohnheime zu räumen. „Das Recht auf Bildung unserer Jugend darf nicht geopfert werden, um die Folgen mangelnder Planung und fehlender Krisenmanagementfähigkeiten zu kompensieren“, so die Gewerkschaft. Die Entscheidung über Fernunterricht ignoriere die Realität und ebne den Weg für noch negativere Folgen. Die Gewerkschaft kritisiert auch, dass unklar sei, wie lange die Schulen geschlossen bleiben.

Das türkische Bildungsministerium teilte am Montag mit, der Unterricht in den zehn Erdbebenprovinzen falle bis März aus. Die Situation solle analysiert werden, die Wiederaufnahme könne sich dann auch erneut verschieben. „Der Weg, um die negativen Auswirkungen des Bebens und das schwere psychologische Trauma, das das Beben bei Kindern und Jugendlichen verursacht hat, zu minimieren, besteht darin, so schnell wie möglich zum Alltag zurückzukehren“, betont dagegen die Gewerkschaft. In dem vom Erdbeben betroffenen Gebiet leben rund 14 Millionen Menschen.

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