Kurz vor der Türkei-Wahl: Erdogan droht LGBT-Gemeinde – „Aktiv gegen perverse Tendenzen“

Der türkische Präsident Erdogan muss um seine Wiederwahl im Mai bangen. In einer Rede drohte er nun der LGBT-Community im Land – und verfolgt damit ein bestimmtes Kalkül.
Ankara – Am 14. Mai finden in der Türkei Wahlen statt – und für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan könnte es knapp werden. Das verheerende Erdbeben im Februar mit über 57.000 Toten und 300.000 beschädigten Gebäuden, die hohe Inflation und die kränkelnde Wirtschaft sorgen für einen Vertrauensverlust in die Regierung. Am Montag (17. April) wandte sich der Präsident gezielt der ultrakonservativen Wählerschaft zu, indem er der LGBT-Community drohte, „aktiv gegen perverse Tendenzen“ vorgehen zu wollen.
Erdogan droht der LGBTQIA+-Gemeinde im Land
„Wir werden aktiv gegen perverse Tendenzen wie LGBT vorgehen, die unsere Familienstruktur bedrohen“, sagte Erdogan Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Die Abkürzung LGBT steht im Englischen für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender, gängig ist auch die Bezeichnung LGBTQIA+, die weitere sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten einschließt.
Erdogan hetzt seit Jahren gegen die LGBTQIA+-Community unter dem Vorwand, die „Heiligkeit der Familie“ schützen zu wollen und findet damit Anklang bei konservativen Wählern und Wählerinnen. Was ein „aktives Vorgehen“ gegen die Community konkret bedeuten würde, blieb zunächst unklar.
Menschenrechtler:innen kritisieren das seit Jahren zunehmend LGBT-feindliche Klima im Land
Menschenrechtler:innen kritisieren seit Jahren das zunehmend feindliche Klima für lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Menschen in der Türkei. Sowohl Erdogan als auch die Parteien AKP und MHP im regierenden Wahlbündnis sowie die Saadet Partei in der Opposition sind offen LGBT-feindlich. Bei den Studentenprotesten im Jahr 2021 bezeichnete der türkische Innenminister vier Studierende auf Twitter als „LGBT-Perverse“, der türkische Präsident sagte:„LGBT, so etwas gibt es nicht.“
Die Türkei war 2021 aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen, einem europaweiten Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Als Begründung für den Austritt hatte die Regierung angegeben, dass das Abkommen „Homosexualität normalisiere“, was nicht mit den „gesellschaftlichen und familiären Werten der Türkei“ vereinbar sei. Dies kritisierten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International scharf.
Erdogan und andere Vertreter:innen würden mit LGBTQIA+-feindlichen Aussagen dazu beitragen, dass viele Menschen sich nicht sicher fühlen könnten, sagte eine Sprecherin einer Frauenrechtsorganisation anlässlich des Weltfrauentags im Jahr 2021 der dpa. Immer wieder gibt es auch Berichte über Gewalt gegen Transmenschen. Angaben der Organsiation Pink Life zufolge wurden seit 2008 mindestens 54 Transgender-Menschen in der Türkei getötet, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte.
Wahlen in der Türkei: Wahlbeobachter äußern Besorgnis
Bei den Wahlen um das Präsidentenamt und das Parlament im Mai geben rund 64 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme ab, für Erdogan geht es um alles. Umfragen sehen ein knappes Rennen gegen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu voraus, der den Amtsinhaber nach 20 Jahren an der Macht schlagen könnte. Auch in Deutschland dürfen 1,5 Millionen Menschen bei der Türkei-Wahl abstimmen, der türkische Präsident macht hierzulande bereits fleißig Wahlkampf.
Wahlbeobachter des Europarats sind indes besorgt bezüglich des Klimas, in dem die Wahlen stattfinden. Konkret gibt es Besorgnis wegen des Grads der Demokratie sowie der Medien-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Land. Die Regierung kontrolliert direkt oder indirekt die Mehrheit der türkischen Medien. Laut Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei in puncto Pressefreiheit auf Platz 149 von 180 weltweit. (bme mit Material von dpa)