Opposition veröffentlicht Strategiepapier vor Türkei-Wahl – ohne Kurden

In einem 246-seitigen Strategiepapier verspricht das Oppositionsbündnis „Sechser Tisch“ mehr Demokratie in der Türkei. Die Belange der Kurden werden allerdings ignoriert.
Ankara – Das türkische Oppositionsbündnis „Sechser Tisch“ hat ihr gemeinsames Strategiepapiet für die Türkei-Wahl am 14. Mai veröffentlicht. Darin verspricht das Parteienbündnis aus CHP, IYI Parti, DEVA Partisi, Gelecek Partisis, Demokrat Parti und Saadet Partisi eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Ebenso versprechen die Oppositionsparteien ein Ende der Zwangsverwaltungen mehrerer Kommunen durch staatlich eingesetzte Zwangsverwalter. Das 246 Seiten umfassende Dokument verspricht, die Schäden durch die Dekrete nach dem Putschversuch 2016 wettzumachen. Über 100.000 Beamte wurden dadurch etwa entlassen.
Der Sechser Tisch steht in Kritik, weil die pro-kurdische HDP nicht in das Bündnis aufgenommen wurde. Tausende Mitglieder der HDP sitzen weiterhin im Gefängnis, unter anderem ihr ehemaliger Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas. Der im deutschen Exil lebende kurdisch-alevitische Journalist und Schriftsteller Aziz Tunc kritisiert im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA, dass damit auch die Bedürfnisse von Millionen HDP-Wähler:innen ignoriert werden.
Strategiepapier der türkischen Opposition geht nicht auf Kurden ein
Zwar wolle der „Sechser Tisch“ der Herrschaft von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Ende setzen und unter anderem die Zwangsverwaltungen in zahlreichen Städten abschaffen, in denen die HDP hätte regieren müssen, aber das sei nicht ausreichend, so Tunc. „In dem Strategiepapier wird nirgends Täter und die Straftat benannt“, kritisiert der Exiljournalist. An keiner Stelle tauche das Wort „Kurde“ auf, obwohl Kurd:innen zahlreiche Belange hätten. „Seit 40 Tagen demonstrieren HDP-Abgeordnete vor dem Parlament für ein Ende der Isolationshaft des ehemaligen Anführers der PKK, der seit 1999 inhaftiert ist“. Darüber werde geschwiegen, kritisiert Tunc.
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Keine Strategie zu Tausenden Journalisten
Auch die Lage tausender Journalisten in der Türkei bleibe unklar. So seien seit dem Putschversuch 2016 in dem Land laut des Abgeordneten Sezgin Tanrikulu (CHP) rund 1000 Journalist:innen festgenommen und 11.000 weitere Medienschaffende aus politischen Gründen entlassen worden. Noch immer befinden sich 63 Journalist:innen in der Türkei hinter Gittern. Auch dazu fehlt in dem gemeinsamen Strategiepapier Bezug.
Aktuellen Umfragen zufolge liegt das Oppositionsbündnis vor dem Bündnis der AKP und MHP. Bis zum 14. Mai wird Erdogan aufholen müssen, um die Wahlen nicht zu verlieren. Zudem wird es wohl zumindest bei der Wahl des Präsidenten zu einer Stichwahl kommen, da eine absolute Mehrheit am Wahltag eher unwahrscheinlich ist. (Erkan Pehlivan)