„Eine Schande“: Blankoscheck der Bundesregierung für Erdogan ruft scharfe Kritik hervor
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Türkei-Wahl „ohne gravierende Manipulation“ ablaufen werde. Die Aussage führt zu heftiger Kritik.
Berlin - Am 14. Mai findet die Türkei-Wahl statt. In dem Land sitzen weiterhin Dutzende Journalist:innen in den Gefängnissen und der Großteil der Medien steht unter staatlicher Kontrolle oder gehört zu regierungsnahen Unternehmern. Dennoch geht die Bundesregierung davon aus, dass die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai ohne gravierende Manipulation stattfinden. Zu der Aussage ist ein Regierungsvertreter am Mittwoch (15. März) im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe gekommen. Man rechne damit, dass der Urnengang zwar nicht fair, aber zumindest offen ablaufe, so der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes. So ist es auf der Internetseite des Bundestages zu lesen.
Schließlich habe jüngst das türkische Verfassungsgericht entschieden, die bisherige Blockade der Konten der prokurdischen Oppositionspartei HDP aufzuheben. Nach Ansicht des Außenamtsvertreters könne die Partei deswegen nun doch Geld aus der Staatskasse für den Wahlkampf bekommen.

Türkei-Wahl: Opposition übt Kritik an Einschätzung
Die Opposition kann die Einschätzung der Bundesregierung nicht nachvollziehen. „Erdogan ist bereit, für die Fortsetzung seines Regimes das Land ins Feuer zu werfen. Wenn er sich sicher sein wird, dass er die Wahlen verliert, könnte er das Leben von seinen eigenen Leuten oder von der Opposition gefährden“, sagt der Co-Sprecher der prokurdischen HDP in Deutschland, Faysal Sariyildiz im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA.
Erdogan ist bereit, für die Fortsetzung seines Regimes das Land ins Feuer zu werfen.
Dafür gäbe es gute Gründe. „Wenn er die Wahlen verliert, könnte er wegen verschiedener Straftaten vor Gericht gestellt werden. Dieses Risiko bereitet ihm schlaflose Nächte“, so Sariyildiz. Die Worte der Bundesregierung ermutigten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, anstatt einen Beitrag für die Demokratie in der Türkei zu leisten.
Kritik von Menschenrechtler: Voraussetzungen für demokratische Türkei-Wahl nicht gegeben
Die Aussagen des hochrangigen Regierungsmitarbeiters führen auch bei Menschenrechtlern zu heftiger Kritik. „Es ist eine Schande, jetzt schon davon zu sprechen, dass es in der Türkei keinen Wahlbetrug geben wird“, sagt Kamal Sido, Nahost-Referent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker im Gespräch mit FR.de. „Woher kommt diese seltsame Sicherheit? Tatsache ist, dass die Voraussetzungen für faire und demokratische Wahlen schon jetzt nicht gegeben sind. Parteien werden verboten oder mit Verbot bedroht.“
Sido kritisiert, dass Medien in der Türkei gleichgeschaltet seien, Tausende Politiker:innen, Volksvertreter:innen und Medienschaffende in Gefängnissen säßen. „Leider setzt sich auch unter der Ampelregierung der unkritische Umgang mit den Machthabern in der Türkei fort. Das ist skandalös“, empört sich Sido.
Manipulationen bei Wahlen in der Türkei an der Tagesordnung
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Linke) zeigt sich angesichts der Worte aus dem Auswärtigen Amt verblüfft. „Wie das Auswärtige Amt zu seiner Einschätzung kommt, die Wahlen in der Türkei würden offen und ohne Manipulation erfolgen, ist mir schleierhaft“, sagte sie gegenüber FR.de. „Die Erfahrungen aus vergangenen Wahlen zeigen vielmehr, dass Einschüchterungsversuche gegen Oppositionelle, Unregelmäßigkeiten und Manipulationen an der Tagesordnung sind“. Deshalb sei es sehr wichtig, angesichts der Türkei-Wahl am 14. Mai aufmerksam zu bleiben und den Ablauf der Wahlen durch möglichst viele unabhängige Beobachter:innen zu begleiten.
Der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Prof. Savas Genc macht sich vor allem Sorgen um den Wahlprozess. „Früher waren mehrere Nachrichtenagenturen bei der Stimmenzählung anwesend. Heute wird nur die staatliche Nachrichtenagentur „Anadolu Ajansi“ bei der Stimmenzählung dabei sein und auch das Endergebnis verkünden“, so Genc im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Kurz vor den Wahlen sei es zudem für die Parteien nicht gestattet, Wahlwerbung zu machen. Das Verbot gelte aber nicht für den türkischen Präsidenten, gibt Genc zu bedenken. (Erkan Pehlivan)