Erdogans Plan B? Ince-Rücktritt soll als Putschversuch zählen
Die Gründe für den Rücktritt von Muharrem Ince als Präsidentschaftskandidat sollen fingiert gewesen sein. Im Falle einer Wahlniederlage könnte das Erdogan als Putschversuch dienen.
Ankara - Der Vorsitzende der Memleket Partisi, Muharrem Ince, hatte sich am Freitag aus dem Rennen um das Amt des Präsidenten in der Türkei zurückgezogen. Zuvor waren womöglich gefälschte, kompromittierende Bilder im Netz aufgetaucht und Korruptionsvorwürfe gegen ihn laut geworden. Dabei soll es sich um einen Komplott gehandelt haben, glaubt der Investigativjournalist Cevheri Güven. Im Falle einer Wahlniederlage hätte dies Erdogan womöglich als Argument für die Annullierung der Wahlen dienen können, sagte Güven im Gespräch mit Fr.de.
Rücktritt von Ince sollte Erdogan im Falle einer Niederlage womöglich an der Macht halten
Der Rücktritt von Ince könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan von Nutzen sein. Im Falle einer Niederlage hätte Erdogan versuchen können, den Rückzug von Ince als Annullierungsgrund der Wahlen zu benutzen. Die Staatsanwaltschaft in Ankara hat diesbezüglich bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, erklärte der im deutschen Exil lebende Investigativjournalist Cevheri Güven heute im Gespräch mit Fr.de von IPPEN.MEDIA. Der Oberstaatsanwalt von Ankara, Ahmet Akca, habe Ince als Beamten eingestuft. Damit handele es sich dabei um eine Straftat gegen die verfassungsrechtliche Ordnung und werde als „Putschversuch” behandelt.
„Ich habe meine politische Karriere im Alter von 15 Jahren begonnen. Seitdem habe ich Plakate aufgehängt. Ich war fünf Wahlperioden lang Mitglied des Parlaments. Ich habe über 40 Jahre lang in der Politik gekämpft. Was ich in den letzten 45 Tagen erlebt habe, habe ich in den letzten 45 Jahren nicht erlebt“, sagte Ince in einer Erklärung.
Fall Muharrem Ince als Vorwand für Festnahmen von Erdogan-Kritikern
„Dieses Ermittlungsverfahren wurde als Vorwand benutzt, um einflussreiche Social-Media Konten mit großer Reichweite zu verbieten. Der Zugang zu meinem Twitter-Konto wurde in der Türkei aufgrund dieser Ermittlungen gesperrt. Gegen einflussreiche Persönlichkeiten, die in der Türkei leben, wurden Haftbefehle erlassen”, schilderte Güven im Gespräch mit FR.de. Es sei beschämend, dass Twitter sich diesen Anweisungen der Erdogan-Regierung gebeugt hat, so der Investigativjournalist weiter.

Kommunikationsdirektor und Cyberabteilung der Polizei stecken mutmaßlich hinter False-Flag-Aktion
Hinter diesem Angriff unter falscher Flagge stecke mutmaßlich die Cyberabteilung der Polizei und die Direktion für Kommunikation im Präsidialamt. An der Spitze der Behörde steht Fahrettin Altun, der immer wieder in Kampagnen das Image von Erdogan aufzupolieren versuchte. Alles gegen Ince sei fingiert gewesen, meint Güven. „Als Muharrem İnce seine Kandidatur ankündigte, sagte ich in meinem Video, dass er zwei Tage vor der Wahl zurücktreten würde”, schrieb der Investigativjournalist am Wahlabend auf Twitter.
Inces Anwalt will Erdogan „wie in der Vergangenheit auch“ unterstützen
Nach dem Rückzug des Präsidentschaftskandidaten Ince aus dem Wahlkampf hatte dessen Anwalt, Fidel Okan, für Erdogan geworben. Hinter den mutmaßlichen Fake-Videos gegen Ince stecke die Gülen-Bewegung, schrieb der Anwalt auf Twitter und bezeichnete die Bewegung in seinem Tweet als Terrororganisation „Der 13. Präsident Recep Tayyip Erdogan muss die letzten Elemente säubern. Ich werde so, wie schon in der Vergangenheit, auch in Zukunft in diesem Kampf jegliche Unterstützung dafür leisten”, schrieb Orkan auf Twitter.
Experte sieht Türkei-Wahl für Erdogan als verloren an
Der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Savas Genc glaubt indes nicht daran, dass Erdogan und seine Partei AKP mit diesen Maßnahmen Erfolg haben werden. „Alles, was die AKP und ihre Helfershelfer bislang gemacht haben, wird sehr wahrscheinlich nicht dazu führen, dass sie die Türkei-Wahl für sich entscheiden“, sagte der Experte am Tag der Wahl im Gespräch mit Fr.de. Dieses Ermittlungsverfahren zeige, wie verzweifelt Erdogan und seine AKP sei. „Ich glaube, sie haben schon aufgegeben”, so Genc weiter.