Rechtsruck in der Türkei: Opposition will Erdogan mit nationalistischen Stimmen besiegen

Stimmungsmache gegen Geflüchtete: Oppositionsführer Kilicdaroglu buhlt vor der Stichwahl um rechte Kräfte in der Türkei. Kann er damit gegen Erdogan punkten?
Berlin - Erdogan gegen Kilicdaroglu: Wenige Tage vor der Stichwahl in der Türkei gehen die Kontrahenten noch einmal in den Schlussspurt im Kampf um Wählerstimmen. Dabei legt vor allem die Opposition eine kleine Kehrtwende hin. Offensiver als sonst buhlt die Allianz des Herausforderers um die Zustimmung in dem rechten Lager - mit Angriffe auf Geflüchtete. Die Strategie birgt durchaus Risiken. Dennoch zeigt man sich im Oppositionsbündnis siegesgewiss.
„Wir können diese Wahl gewinnen“, sagte Sezgin Tanrikulu dem Spiegel. Der Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) hatte bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag ein Mandat in Diyarbakir erobert - dies war der Partei seit drei Jahrzehnten nicht mehr gelungen.
Stichwahl in der Türkei: Kilicdaroglu hofft auf Sieg gegen Erdogan
Doch ob Tanrikulu mit seiner Einschätzung richtig liegt? Anders als erhofft hatte das oppositionelle Sechserbündnis von Präsidentschaftskandidat Kemal Kilicdaroglu bei der Türkei-Wahl insgesamt eine Mehrheit verfehlt. Der Herausforderer lag 4,5 Prozentpunkte hinter Präsident Recep Tayyip Erdogan. Immerhin: Noch ist nichts entschieden. Beide müssen sich am kommenden Sonntag (28. Mai) noch einer Stichwahl stellen - zum ersten Mal in der Geschichte des Landes.
Die Vorzeichen sprechen ein wenig für Erdogan. Der Amtsinhaber muss vor allem seine Wählerschaft weiter bei Laune halten. Hinzu kann er nun mit rund 2,8 Millionen weiterer Stimmen rechnen. Denn am Montag hatte der Drittplatzierte im Rennen um das Präsidentenamt, Sinan Ogan, eine Wahlempfehlung ausgesprochen und seine Anhänger aufgerufen, für Erdogan zu stimmen.
Bei der Türkei-Stichwahl sollen rechte Wähler der Opposition zum Sieg verhelfen
Herausforderer Kilicdaroglu setzt das unter Druck. Denn der Abstand zwischen ihm und dem Amtsinhaber hat sich dadurch vergrößert. Ohne neue Wählerschichten wird ein Wahlerfolg nicht möglich sein. Deshalb fischt der Oppositionschef nun im rechten Lager um Wählerinnen und Wähler. Hörbar deutlich schlug er deswegen in den vergangenen Tagen nationalistischere Töne an und warf Erdogan vor, die Grenzen des Landes nicht geschützt und mehr als zehn Millionen Geflüchtete ins Land gelassen zu haben. „Ich werde alle Flüchtlinge nach Hause schicken“, versprach er, „sobald ich an die Macht komme!“
Ganz neu sind diese Töne nicht. Aber sie sind seit der Türkei-Wahl schriller geworden. Wirklich verwundert sind politische Beobachter nicht. Denn nach bei der Türkei-Wahl erlebte das Land einen Rechtsruck. Aus den Parlamentswahlen, die parallel zu der Präsidentschaftswahl stattfanden, gingen die rechten Kräfte gestärkt hervor: Zehn von 16 Parteien werden dem nationalistischen Spektrum zugeordnet. Von den knapp 600 Abgeordneten gelten 404 als rechtskonservativ.
Kilicdaroglu in der Stichwahl: Seine neue Strategie gegen Erdogan birgt Risiken
Darunter sind die ultra-nationalistische MHP, aber auch mehrere kleine Splitterparteien, die es mit Hilfe von Erdogans Volksallianz ins Parlament schafften. Aber auch im Oppositionsbündnis sind rechte Unterstützer, so wie die Gute Partei (IYI).
Ob Kilicdaroglu einige Anhänger aus dem Erdogan-Lager zu sich herüberziehen kann, bleibt abzuwarten. Denn seine Strategie, verstärkt auf die rechten Kräfte zu setzen, kommt einem Spagat gleich. Einerseits will er neue Wählerinnen und Wähler gewinnen mit seinen forschen Tönen. Auf der anderen Seite darf er die vielen gemäßigten Kräfte, die in unterstützt haben, auch nicht verprellen. Insbesondere bei den Kurdinnen und Kurden beobachtet man die neue Politik mit Argusaugen. (jkf)