Türkei: Erdogans Erbe - Präsident eröffnet umstrittene Moschee mitten in Istanbul
Der türkische Staatspräsident Erdogan weiht vor Tausenden Gläubigen in Istanbul eine umstrittene Moschee ein – ausgerechnet am Jahrestag der Gezi-Proteste.
Istanbul – Auf den Tag genau acht Jahre nachdem auf dem geschichtsträchtigen Taksim-Platz im europäischen Teil von Istanbul tausende Menschen gegen die Politik von Recep Tayyip Erdogan demonstriert hatten, hat der türkische Staatspräsident auf eben diesem Platz am Freitag (28.05.2021) eine neue Moschee eingeweiht. Wieder kamen Tausende – diesmal um das neue Gebäude, das an den osmanischen Stil erinnert, zu feiern. Die Moschee überschattet seit ihrer Fertigstellung das „Denkmal der Republik“, das nur unweit der Moschee steht und an die Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 erinnert. Es stellt wichtige Vertreter des türkischen Unabhängigkeitskrieges dar und war bislang die Hauptattraktion des Taksim-Platzes.
Mit der Moschee drückt Erdogan dem zentralen Taksim-Platz in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei seinen eigenen Stempel auf. Als er in den 90er Jahren Bürgermeister von Istanbul war, hatte er bereits auf das Fehlen einer Moschee auf dem Platz hingewiesen und sich daran gestört, dass das einzige sichtbare Gotteshaus in der Nähe eine orthodoxe Kirche sei. Nach Berichten des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera, lebten in der Vergangenheit im Viertel um den Taksim-Platz zahlreiche religiöse und ethnische Minderheiten.

Dritter Moscheebau in Istanbul unter Erdogan: Kritik gegen Bauwerk und Zeitpunkt der Eröffnung
Bereits zu Beginn des Baus im Jahr 2017 sorgte das Projekt für Kritik: Gegner warfen dem Vorsitzenden der Regierungspartei AKP vor, das Land islamisieren und Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk symbolisch verdrängen zu wollen. Die Taksim-Moschee sei bereits Erdogans drittes religiöses Bauprojekt dieser Art in seiner Heimatstadt Istanbul, zitiert Al Jazeera Soner Cagaptay, Leiter des Türkei-Forschungsprogramms des Instituts für Nahost-Politik in Washington D.C..
Nachdem er die Moschee zunächst während des Ramadan einweihen wollte, entschloss sich Erdogan, die Feierlichkeiten auf den Jahrestag des Beginns der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 zu legen, deren Haupt-Schauplatz der Taksim-Platz war. Die Proteste hatten sich im Mai 2013 an Plänen des damaligen Regierungschefs Erdogan zur Bebauung des Istanbuler Gezi-Parks entzündet. Nach einem brutalen Polizeieinsatz gegen Umweltschützer:innen weiteten sie sich aufs ganze Land aus. Erst nach Wochen gelang es Erdogan, die Protestbewegung niederzuschlagen. Der heutige Staatspräsident betrachtet sie als Verschwörung zum Sturz seiner Regierung.

Gläubige bei Moschee-Einweihung in Istanbul verfolgten Erdogan-Rede auf Bildschirmen
Zum Beten mussten viele der Gläubigen auf dem Platz vor dem Gebäude bleiben und mit Einweg-Gebetsteppichen aus Papier Vorlieb nehmen, wie Al Jazeera berichtet. Die Eröffnung konnten sie auf großen Bildschirmen verfolgen. Sicherheitskräfte verteilten Masken und Desinfektionsmittel, doch Abstände wurden oft nicht eingehalten. Die Türkei hat gerade erst den strengsten Lockdown seit Beginn der Coronavirus-Pandemie hinter sich. (ska mit AFP)