Abgeordnete Akbulut warnt vor Blauäugigkeit: Bundesregierung gibt Details zu Erdbebenhilfen bekannt
Die Bundesregierung hat bislang rund 5.000 Visa für Erdbebenopfer in der Türkei vergeben. Bei der Hilfe vor Ort läuft offenbar nicht alles glatt.
Berlin - Das verheerende Erdbeben in der Türkei am 6. Februar 2023 kostete offiziellen Angaben zufolge über 50.000 Menschen das Leben. Rund 23 Millionen Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisationen von den Folgen der Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet betroffen. Wer Verwandte in Deutschland hat, sollte durch ein „vereinfachtes und pragmatisches Visumverfahren“ nach Deutschland kommen können, hatte die Bundesregierung angekündigt.
In einer Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut (Linke) an die Bundesregierung wurden jetzt die Details zu der Erdbebenhilfe für die Katastrophengebiete bekannt. „Insgesamt wurden an türkische Staatsangehörige aus dem Erdbebengebiet 712 Schengen-Visa, 4.562 Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit im vereinfachten Verfahren und 429 Visa zum Familiennachzug erteilt“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. An syrische Staatsangehörige wurden bislang 46 Schengen-Visa und 441 Visa zum Familiennachzug erteilt.
Bundesregierung verschweigt Zahlen über Ablehnungen
Wie viele Visanträge aber abgelehnt wurden, wollte die Bundesregierung nicht veröffentlichen. „Bezüglich der Zahl der abgelehnten Visaanträge ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass diese Frage aus Gründen des Staatswohls teilweise nicht offen beantwortet werden kann“. Aussagen der Bundesregierung dazu bekämen gegenüber dem betroffenen Land ein erheblich stärkeres Gewicht als bei einer abstrakten, nicht einzelnen Ländern zuordenbaren Angabe. „Aus dem Kontext gerissene Ablehnungszahlen könnten als Ungleichbehandlung eines Staates und seiner Staatsangehörigen im Vergleich zu anderen Staaten wahrgenommen werden“, so die Begründung der Bundesregierung dazu.

Bundesregierung will Dokumente für Visa, die unter Trümmern liegen
„Es ist erfreulich, dass zumindest knapp 4.500 Menschen aus dem Erdbebengebiet in der Türkei über das vereinfachte Verfahren ein Visum erhalten haben“, kommentiert Akbulut die Zahlen im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA. Dennoch bleibt es schwierig für die Erdbebenopfer, zu ihren Familienangehörigen nach Deutschland zu kommen. „Die Liste der benötigten Dokumente für den Visumsantrag ist unfassbar lang. Viele Betroffene sind obdachlos geworden sind, ihre Unterlagen liegen unter den Trümmern“, kritisiert die Linken-Abgeordnete.
Bundesregierung übergibt Hilfen an umstrittene Katastrophenschutzbehörde AFAD
Auch gibt es Einblicke in die Hilfen aus Deutschland in das Erdbebengebiet. „Aus Mitteln des Auswärtigen Amts finanzierte Hilfsgüter des THW sowie Sachspenden der Ressorts, Bundesländer sowie der Bundespolizei für die Türkei belaufen sich aktuell auf insg. 477 Tonnen mit einem Warenwert von über 10 Millionen Euro“ so die Antwort der Bundesregierung. Diese seien an die türkische Katastrophenschutzbehörde AFAD übergeben worden.
AFAD steht allerdings wie der Türkische Rote Halbmond in Kritik. Offenbar hatten beide Organisationen zu spät reagiert. Zudem war immer wieder Kritik aus der Opposition laut geworden, dass etwa alevitische und kurdische Dörfer und Siedlungen von Hilfen ausgeschlossen worden seien. Die Bundesregierung knüpft ihre finanzielle Erdbebenhilfe für die Türkei und Syrien offenbar nicht an Bedingungen. „Die Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Syrien und der Türkei orientieren sich an den von den Vereinten Nationen koordinierten Hilfsplänen“, heißt es in der Antwort.

Bundesregierung darf Hinweise zu Ungleichbehandlung bei Hilfen nicht ignorieren
Akbulut warnt dabei vor Blauäugigkeit. Die Bundesregierung dürfe die Hinweise zu Ungleichbehandlungen und zu Veruntreuung humanitärer Hilfen nicht ignorieren und sich ausschließlich auf die offiziellen türkischen staatlichen Erklärungen zu verlassen. „Die Bundesregierung sollte sich bei ihrem türkischen Partner vielmehr um Aufklärung zu diesen Sachverhalten bemühen. Ich bin auch sehr dafür zu prüfen, ob Hilfen an bestimmte Bedingungen geknüpft werden können“, sagte Akbulut im FR-Gespräch.
Die Bundesregierung gibt zu, dass es Information über Ungleichheit bei der Verteilung der Hilfsgüter in der Türkei hat. „Im Ergebnis kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Einzelfall zu Ungleichbehandlungen gegenüber Gemeinden gekommen ist.“ Diese seien nach Ansicht der Bundesregierung allerdings „nicht systematischer Natur“.
Ungleichbehandlung von Kurden, Aleviten und Ex-Beamten
Neben der Ungleichbehandlung von Kurden und Aleviten bei den Erdbebenhilfen wurden auch Ex-Beamte und ihre Familien benachteiligt, die Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem Putschversuch 2016 entlassen und in vielen Fällen verhaften ließ. Die sog. KHK´li (per Dekret Entlassen) bekommen weder finanzielle Erdbebenhilfen noch werden sie in staatlichen Heimen aufgenommen. Auch ihre Ehepartner werden von den Maßnahmen betroffen. (Erkan Pehlivan)