Türkei: Weiterer Einmarsch in Nordsyrien steht kurz bevor
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will weitere Gebiete in Nordsyrien besetzen. Experten befürchten eine weitere humanitäre Katastrophe.
Ankara – Einen festen Termin für einen weiteren Einmarsch türkischen Truppen nach Nordsyrien nannte Präsident Recep Tayyip Erdogan bislang nicht. Dennoch könnten jederzeit türkische Truppen die Grenze ins Nachbarland überqueren und die Städte Manbidsch und Tel Rifat zu bestzen. „Wir werden die Gegend von Terroristen säubern“, kündigte Erdogan in einer Gruppensitzung seiner Regierungspartei AKP an.

Geflüchtete müssten nochmal flüchten
„Etwa 200.000 Kurden haben nach der Besetzung von Afrin 2018 durch türkische Truppen in dieser Region Zuflucht gefunden. Wenn auch dieses Gebiet durch das Nato-Mitglied besetzt wird, müssen die Geflüchteten nochmal flüchten,“ sagt Kamal Sido, Nahostrefernt der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.

„Kein großer Widerstand für Erdogan in Nordsyrien zu fürchten“
Derzeit braucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auch keinen großen Widerstand aus dem Westen zu befürchten., so Sido: „Die Nato, und der Westen sind derzeit mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt. Erdogan hat damit praktisch freie Hand in Nordsyrien, er muss nur den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei Laune halten.“
Auch der Kommandeur der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazloum Abdi, warnt vor einem Einmarsch türkischer Truppen. „Das wird eine neue humanitäre Krise auslösen“, schreibt Abdi auf Twitter. Der Kommandeur sieht dadurch auch den Kampf gegen die Terrormiliz IS geschwächt. Im Kampf gegen den IS hat die QSD rund 11.000 Kämpfer bislang verloren.
Innenpolitisches Kalkül
Nach Ansicht des Türkeiexperten und Ex-Diplomaten Ömer Murat dient ein solcher Krieg Erdogan vor allem in der Innenpolitik. „2023 finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Er wird hierbei zeigen, dass er das Land vor seinen Feinden schützt. Damit wird er verhindern, dass die Stimmen der Nationalisten nicht in andere Parteien abwandern“, so Murat gegenüber der Frankfurter Rundschau.

Auch die pro-kurdische Oppositionspartei HDP wird er dadurch leichter unter Kontrolle bringen können. „In einem Kriegsklima wird er es leichter haben, vor allem Abgeordnete der HDP wegen Terrorismus zu verhaften. Auch ist es einfacher, die Partei komplett zu verbieten, um bei den Wahlen einen wichtigen Gegner außer Kraft zu setzen“, so Murat. (Erkan Pehlivan)