Türkei: Erdogans härteste Gegnerin muss ins Gefängnis
Die Vorsitzende der CHP in Istanbul, Canan Kaftancioglu, wurde wegen ihrer Einträge auf Twitter zu über vier Jahren Gefängnis und Politikverbot verurteilt.
Istanbul - Der türkische Kassationshof (Yargitay) hat in seinem gestrigen Urteil die Vorsitzende der Oppositionspartei CHP in Istanbul, Canan Kaftancioglu, zu vier Jahren, elf Monaten und 20 Tagen Gefängnis verurteilt. In dem Urteil wurde zudem ein politisches Betätigungsverbot für die Politikerin verhängt. Ein Strafgericht in Istanbul hatte die Politikerin im vergangenen Jahr bereits zu neun Jahren, acht Monaten und 20 Tagen Gefängnis verurteilt, das durch das Urteil des Kassationshofes jetzt aufgehoben wurde. Kaftancioglu habe „einen Beamten im Amt beleidigt“, „die türkische Republik erniedrigt“ und auch den „Präsidenten der Türkei beleidigt“.

In einer Videobotschaft teilte Kaftancioglu mit, dass sie so lange weitermachen wird, bis die Türkei wieder zu einem Rechtsstaat werde. Die CHP wird das Böse von der Macht vertreiben, sagte die Politikerin.

Türkei: Kilicdaroglu will „Tyrannen und Tyrannei ein Ende setzen“
Der Vorsitzende der CHP, Kemal Kilicdaroglu, hatte nach dem Urteil zu einer Versammlung vor der Parteizentrale in Istanbul aufgerufen. „Wir werden den Tyrannen und der Tyrannei ein Ende setzen“, sagte Kilicdaroglu in seiner Rede in der Millionenmetropole. Die Arroganz von Präsident Erdogan werde ein Ende finden.
Türkei: Erdogan räumt wichtige Gegner:in aus dem Weg
Das Urteil gegen Kaftancioglu bleibt auch über die Parteigrenzen der CHP hinweg umstritten. Der Türkeiexperte und Politikwissenschaftler Savas Genc sieht in dem Urteil eine Rache von Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Die CHP hatte 2019 auch bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul die meisten Stimmen erhalten“, so Genc im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Kaftancioglu habe es damals geschafft, dass dabei keine Stimmen zur AKP verloren gingen, und die CHP erneut gewinnt.

Türkei: Erneut Angriff auf Meinungsfreiheit
Ähnlich sieht es der Brüsseler Jurist und Experte für türkisches Recht, Ali Yildiz. „Mit dem Urteil wird erneut die Meinungsfreiheit untergraben“, erzählt er uns im Gespräch. Yildiz sieht bei solchen Urteilen die türkische Opposition in der Pflicht. Diese würde in solchen Fällen nur einschreiten, wenn ihre eigenen Mitglieder betroffen seien. Zudem sieht Yildiz in dem Urteil die Beseitigung von politischen Gegnern. So sitzt der charismatische ehemalige Co-Vorsitzende der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, seit November 2016 im Gefängnis von Edirne.

Urteil von Richter, der Gegner von Erdogan wegsperrt
Der Türkei-stämmige Exiljournalist Cevheri Güven ist über das Urteil gegen Kaftancioglu nicht verwundert. Das Urteil habe schließlich Muhsin Sentürk gegeben. „Der selbe Richter hatte nach den Korruptionsfällen von 2013 seine Kollegen Mustafa Baser und Metin Özcelik zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil die beiden Richter die Freilassung der Polizeibeamten angeordnet hatten, die gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan ermittelten“, sagt Güven.

Özoguz nennt Urteil „Skandal“
Kritik an dem Urteil aus der Türkei kommt auch von der Bundestagsabgeordneten Aydan Özoguz (SPD). Sie nennt das Urteil auf Twitter „ein Skandal“. Bei dem Prozess gegen Kaftancioglu habe es zu viele offensichtliche Verstöße gegen den Rechtsstaat gegeben. Kaftancioglu hätte erfolgreich gegen die AKP Wahlkampf führen können.

Ob und wann das Urteil gegen Canan Kaftancioglu vollstreckt wird, steht noch nicht fest. Sollte die CHP-Politikerin ins Gefängnis gehen, wird die Türkei sich international verantworten müssen. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gilt dann als sicher. (Erkan Pehlivan)