Trump-Einreiseregel läuft aus: Warten auf den 11. Mai - ein „Tsunami“ naht an der US-Grenze

Zehntausende Menschen aus ganz Lateinamerika wollen diese Woche versuchen, von Mexiko in die USA zu gelangen – ein Einreiseverbot aus der Trump-Ära läuft aus.
El Paso/Frankfurt - Wenn man Irineo Mujica fragt, was an diesem Donnerstag an der Grenze zu den USA passieren wird, dann wählt er eine drastische Formulierung. „Was da auf die Vereinigten Staaten zukommt, ist ein Tsunami“, sagt der Experte von der Migrantenorganisation „Pueblo sin Fronteras“ (PsF). Mujica hat in den vergangenen Wochen eine Karawane von ursprünglich rund 3000 Menschen auf ihrem Weg durch Mexiko begleitet und er weiß: „Überall im Land sitzen Migrantinnen und Migranten in den Startlöchern.“
Trumps „Title 42“ läuft aus - Unruhe von Süd- bis Nordmexiko
Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte im Frühjahr 2020 angeblich zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus eine als „Title 42“ bekannte Vorschrift erlassen, die es dem US-Grenzschutz erlaubte, Zuwanderer:innen und Schutzsuchende direkt an der Grenze zurückzuweisen. Genau das ist seitdem mehr als 2,5 Millionen Mal passiert.
Das nun anstehende Ende des Einreiseverbots sorgt nun von Süd- bis Nordmexiko für Unruhe. In Tapachula an der Grenze zu Guatemala spielen sich seit Tagen dramatische Szenen ab, weil die Menschen sich um die Passierscheine raufen, die Mexiko für 45 Tage für eine Durchreise bis an die US-Grenze ausstellt. In und um Mexiko-Stadt herum leeren sich seit Tagen bereits die Herbergen für Migrant:innen. Und auch an der Nordgrenze packen Zehntausende ihr Bündel und klopfen wieder an den Grenzzaun.
Wenn „Title 42“ am 11. Mai ausläuft, wollen Frauen und Männer aus aller Welt in den USA Asyl beantragen. Nicaraguaner, Kubanerinnen, Venezolaner und Haitianerinnen hoffen zudem auf eine der monatlichen 30.000 Aufenthaltserlaubnisse, die Washington für diese vier Länder ausgelobt hat. Aber die meisten werden wie bisher auch als „Mojados“, als Migrant:innen ohne Papiere, die Löcher im Zaun finden, unbemerkt durch die Wüste wandern oder den Grenzfluss Rio Grande durchschwimmen. Diese „illegale Migration“ hat auch „Title 42“ nie ganz aufgehalten.
USA: Flucht vor Armut, Gewalt, Autokraten - „In Venezuela ist kein würdiges Leben möglich“
Die Menschen fliehen vor Armut, Gewalt, autokratischen Regimen, Naturkatastrophen und der Organisierten Kriminalität. „Aber längst sind es nicht mehr nur die Ärmsten der Armen, die sich auf den Weg machen“, sagt Dieter Müller, Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko. Auch die gut ausgebildete Mittelschicht sucht angesichts des wirtschaftlichen und staatlichen Kollapses in Ländern wie Kuba, Haiti und Venezuela der Perspektivlosigkeit zu entkommen. Deswegen ist der „typische Migrant“ auch nicht mehr der junge Mann, der allein wandert. „Immer mehr Frauen, Minderjährige, ganze Familien und auch sexuell Diverse sind unterwegs“, betont Müller, intimer Kenner der Migrationslage in Lateinamerika. So sah man zum Beispiel in den vergangenen Tagen junge Eltern mit Kinderwagen am Grenzzaun zwischen Ciudad Juárez und El Paso, die den US-Grenzschutz anflehten, sie durchzulassen.
Bis zu 12.000 Menschen, die in die USA wollen und darauf warten, dass die „Title 42“-Regelung ausläuft, befänden sich derzeit allein in Ciudad Juárez, sagte Ende der Woche Oscar Leeser, Bürgermeister von El Paso, der texanischen Zwillingsstadt von Ciudad Juárez. Er hat schon länger den Notstand in seiner Stadt ausgerufen und könnte die Ankommenden in Busse setzen und etwa nach New York schicken, wo gerade neue Aufnahmezentren aufgebaut wurden.
Bis Donnerstag wollte Jhoan Barrios nicht mehr warten. Der Venezolaner ist nach schier endlosen vier Monaten der Wanderung aus seiner Heimatstadt Barinas durch den gefährlichen Darién-Urwald und ganz Zentralamerika und Mexiko vor ein paar Tagen in Juárez angekommen und hat die Geduld verloren. Der 33-jährige Manager einer Bekleidungsfabrik hat in den vergangenen Wochen den ganzen Horror der Migration erlebt. Er hat im Darién Tote gesehen, ist mehrfach überfallen und ausgeraubt worden, wurde krank und lief sich die Füße wund. An Umkehren haben er und seine Frau dennoch nie gedacht: „Wir haben alles verkauft, in Venezuela ist kein würdiges Leben mehr möglich, da geht man auch vor die Hunde“, sagt der schlanke Mann mit dem kurzen Haar.
Kaum war er in Juárez angekommen, hat er versucht, über die App CBP One einen Asylantrag zu stellen. „Aber die App bricht immer zusammen.“ Also entschloss er sich, den Weg über die „grüne“ Grenze zu nehmen. „Wir wollten am Durchgang 43 rüber, aber da haben die Mafias und mexikanische Soldaten auf uns geschossen“, erzählt er in einem Audio über WhatsApp. In den USA hat er in Tennessee Bekannte, zu denen er will.
Zwei Tage später schickt er eine Nachricht: „Wir sind in den USA, haben uns mit 2000 anderen Migranten aus Venezuela, Kolumbien und der Türkei den Behörden gestellt. Mal sehen, wo sie uns jetzt hinbringen. Aufnahmelager oder Knast“. Jhoan hofft, als Venezolaner eine Vorzugsbehandlung zu bekommen.
Der Grenze vorgelagerte „Migrationszentren“ geplant - bleiben die US-Türen verschlossen?
Die Migrationsforscherin Inés Barrios ist da skeptisch. „Die Migranten glauben, dass das Ende des Titels 42 ihnen die Türen zur Einreise in die USA und zur Beantragung von Asyl öffnet“. Aber das sei nicht der Fall. „Nach dem 11. Mai wird jeder, der versucht, irregulär einzureisen, gemäß Titel 8 abgeschoben“, erklärt die Akademikerin vom „Colegio de la Frontera Norte“. Diese Norm im Einwanderungsgesetz schreibt fest, dass jeder, der illegal in die USA einreist, abgeschoben wird.
Egal, welche Vorschrift gerade gilt in den USA: der Migrationsdruck in Lateinamerika ist ungebrochen. Tatsächlich hat „Title 42“ die Menschen auch in den vergangenen drei Jahren nicht daran gehindert, den Grenzübertritt ohne Papiere zu versuchen. An der 3200 Kilometer langen Grenze zwischen Tijuana am Pazifik und Matamoros am Golf von Mexiko werden auch jetzt jeden Tag rund 7000 Menschen von der Grenzpolizei aufgegriffen.
Es fehle zudem nach wie vor an einer übergreifenden und einheitlichen Migrationspolitik in der Region, an der aber auch kaum politisches Interesse bestehe, sagt Experte Müller. Sehr kritisch sieht er in diesem Zusammenhang die neuen Migrationszentren, die Washington in Guatemala und Kolumbien einrichten will. In diesen „Regionalen Bearbeitungszentren“ sollen Menschen, die in die USA wollen, Einreiseanträge stellen können. So sollte die „irreguläre Migration“ begrenzt und „sichere, geordnete, humane und legale Wege“ geschaffen werden, erklärte die US-Regierung. Diese Auslagerung der Migration ähnele der, die Italien in Libyen und Deutschland in der Türkei mache, sagt Müller. So etwas begrenze die Wanderung der Menschen aber nicht.
Auch PsF-Aktivist Irineo Mujica ist deutlich: „Es sind Eindämmungsmaßnahmen, die nicht funktionieren. Die Migration geht weiter und damit auch die Tortur für die Menschen.“ Es helfe nur, die Länder, aus denen die Menschen fliehen, politisch, wirtschaftlich und sozial zu stabilisieren. „Erst dann lässt der Migrationsdruck nach.“
