Trinkwasserpreise könnten deutlich steigen

Versorgungsunternehmen müssen wegen der Güllefluten immer mehr Aufwand betreiben, um Nitrat aus dem Grundwasser herauszufiltern. Dadurch könnten die Preise deutlich steigen.
„Deutsches Trinkwasser erhält wieder die Note sehr gut.“ Das meldete das Umweltbundesamt (UBA) gerade erst im Mai. Der Bürger kann also unbesorgt den Hahn aufdrehen, duschen, baden, kochen und das Wasser auch trinken, das ihm frei Haus geliefert wird. Doch ist damit alles gut? Keineswegs. Denn die Trinkwasserversorger müssen vielerorts einen immer höheren Aufwand betreiben, damit das kühle Nass die gültigen Grenzwerte einhält. Vor allem die Nitratbelastung des Grundwassers, aus dem deutschlandweit der Großteil des Trinkwasser gewonnen wird, macht den Unternehmen Sorge – und hohe Kosten. Und die könnten dramatisch ansteigen, wenn nicht gegengesteuert wird.
Ein Bericht der EU-Kommission belegte erst jüngst wieder das seit Jahrzehnten bestehende Problem: An rund 28 Prozent der Grundwasser-Messstellen in Deutschland überschreiten die Wasserproben den Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter für Nitrat. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen war das UBA im vorigen Jahr gekommen. Laut dessen Untersuchung genügt die Wasserqualität an 27 Prozent der Messstellen nicht den Anforderungen. Diese Situation war der Grund für die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland von 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, die die Bundesregierung nun krachend verloren hat. Der Vorwurf: Berlin habe zu wenig unternommen, um die Belastung zu senken.
Das Trinkwasser vor zu hohen Nitratwerten zu schützen, ist wichtig. Die Stickstoff-Verbindung kann schwere gesundheitliche Probleme auslösen. Im menschlichen Magen können sich daraus Nitrosamine bilden, die im Verdacht stehen, Krebs auszulösen. Bei Säuglingen kann sie zudem den Sauerstoff-Transport im Blut behindern. Zu viel Stickstoff ist jedoch auch ein Umweltproblem. Neben dem Grundwasser belastet der Nährstoff auch Bäche, Flüsse und die Meere; dort führt er zur vermehrten Algenbildung. Zudem gelangt er in Form von Ammoniak und Lachgas auch in die Luft, was zu Bodenversauerung, Artenschwund und – Lachgas ist ein starkes Treibhausgas – zum Klimawandel beträgt.
Tatsächlich ist das Nitratproblem lange bekannt. Vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, aber auch einigen Regionen Bayerns ist die Belastung sehr hoch. Hauptverursacher ist die Landwirtschaft, die dort besonders intensiv betrieben wird. Die Bauern kippen zu viel Kunstdünger und Gülle aus der Massentierhaltung auf die Felder, hinzu kommen noch Reststoffe aus den Biogasanlagen, sogenannte Flüssigsubstrate. Der Stickstoff, der darin enthalten ist, wird zwar benötigt, um Pflanzen wachsen zu lassen, ein Übermaß davon kann von den Böden jedoch nicht aufgenommen werden und schlägt ins Grundwasser durch. An einzelnen Messstellen in den besonders belasteten Regionen wurde nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der rund 6000 Wasserversorger vertritt, sogar schon das Achtfache des zulässigen Grenzwertes gemessen.
Im Bundesschnitt gehen die Bauern heute zwar sparsamer mit dem Dünger um als früher, der „Stickstoffeintrag“ sank laut UBA von 118 Kilo pro Hektar im Jahr 1993 auf 97 Kilo anno 2013. Doch das reicht offenbar nicht, um die Lage zu entspannen. Der Trend habe sich zuletzt deutlich verlangsamt, und so sei man „noch weit von dem selbst gesetzten Ziel entfernt“, den Stickstoff-Überschuss auf 70 Kilo pro Hektar zu senken, heißt es dort. In „etlichen Gegenden“ stiegen die Nitratkonzentrationen „durch die Massentierhaltung und übermäßiges Düngen in der Landwirtschaft sogar weiter an“, warnt das UBA.
Die Wasserversorger haben wegen der für sie zunehmend kritischen Situation schon mehrfach Alarm geschlagen. Bisher helfen sie sich meist damit, belastetes Wasser mit „sauberem“ aus anderen Brunnen zu mischen oder die Brunnen tiefer zu bohren, was aber nur Zeit kauft, bis das Nitrat auch dorthin gelangt. In besonders betroffenen Regionen wie der Region Oldenburg in Niedersachsen, wo die größten Tiermast-Betriebe der Republik stehen, haben die Versorger teils auch schon Felder aufgekauft oder gepachtet, um ihre Brunnen vor den Güllefluten zu schützen. Wo das nicht funktioniert, muss Wasser per Fernleitung aus anderen Regionen hergeschafft werden.
Die Aufbereitung zu Trinkwasserqualität verteuert die Kosten für Verbraucher. Laut UBA schlägt sie im Extremfall schon heute mit rund einem Euro pro Kubikmeter auf der Wasserrechnung zu Buche. Doch es könnte noch dramatischer werden, falls noch aufwendigere Aufbereitungsverfahren nötig werden. Der Branchenverband BDEW schätzt, dass das Trinkwasser in betroffenen Regionen um bis zu 62 Prozent teurer werden könnte. Das geht noch über die Schätzung des UBA hinaus, das mit einem Plus von 32 bis 45 Prozent rechnet. Die Wasserrechnung einer vierköpfigen Familie würde sich dann um bis zu 134 Euro pro Jahr erhöhen, warnt das Amt.
Der Bauernverband weist die Kritik an der Düngepraxis zurück. Er argumentiert, die Lage sei schon jetzt nicht dramatisch, bei den meisten Messstellen werde der Nitrat-Grenzwert ja nicht überschritten. Und in den Problemregionen werde die Landwirtschaft „auch in Zukunft mit der Wasserwirtschaft eng zusammenarbeiten“. Außerdem verweist die Agrarlobby auf das neue Düngerecht, das im Frühjahr 2017 verabschiedet wurde. Damit sei den Vorschriften der Europäischen Union zum Grundwasserschutz bereits Genüge getan. Das sieht der BDEW allerdings ganz anders: Die neue Düngeverordnung sei wegen der vielen „Ausnahmen und Schlupflöcher“ wirkungslos.
Weitaus grundsätzlicher ist die Kritik von Umweltorganisationen. „Deutschland opfert den Schutz unseres Trinkwassers den Folgen der Massentierhaltung“, heißt es zum Beispiel bei Greenpeace. Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass der viel zu hohe Tierbestand in Deutschland sinkt. Das reduziere die Überdüngung automatisch.
Verhungern müsste deswegen in der Tat niemand. Denn seit Jahren sinkt der Fleischkonsum hierzulande, während immer mehr Fleisch produziert und exportiert wird. Greenpeace schätzt, dass die Branche 20 Prozent mehr Fleisch herstellt, als im Inland benötigt wird – und das mit großem Energieaufwand, Futterimporten aus Übersee und Massentierhaltung.