Transnistrien in der Hinterhand

Russland versucht offensichtlich, moldawische Separatisten im Konflikt mit der Ukraine für seine Zwecke zu nutzen – mit mäßigem Erfolg.
In Kiew fürchtet man, Russland wolle eine neue Front aufmachen: Auf dem Flughafen von Tiraspol, der Hauptstadt der moldawischen Rebellenrepublik Transnistrien, werde eine 2,5 Kilometer lange Landebahn für Militärflieger aller Größen vorbereitet, schreibt das ukrainische Fachportal „Defense Express“. Und auf der Krim würden Transportflieger und Hubschrauber startklar gemacht, um zwei russische Brigaden nach Transnistrien zu befördern. „Das spricht für die Vorbereitung einer Luftbrücke“, mutmaßen die ukrainischen Fachleute.
Nicht nur in der Ukraine wird spekuliert, ob Russland aus Transnistrien einen Vorstoß auf Odessa plant, um die komplette Schwarzmeerküste unter seine Kontrolle zu bringen. Und ob dann auch der Republik Moldau blutige Kämpfe drohen.
Das sind nicht nur Planspiele. Am 22. April sagte der russische Generalmajor Rustam Minnekajew, es gehe jetzt nicht nur um die „Befreiung“ des Donbass, sondern auch um die Kontrolle der südlichen Ukraine. „Sie bedeutet einen Zugang nach Transnistrien, wo die Fakten ebenfalls zeigen, dass die russischsprachige Bevölkerung unterdrückt wird.“ Das erstaunte, weil in Transnistrien mehr als 2000 russische Soldaten stationiert sind und die Führung des Landstreifens als prorussisch gilt, die russische Trikolore ist dort zweite Staatsfahne.
Wie auf Kommando verschärfte sich danach die Lage in Transnistrien. In der vergangenen Woche nahmen erst Unbekannte das Hauptquartier des Staatssicherheitsdienstes in Tiraspol mit einem Granatwerfer unter Feuer, dann wurden zwei Antennen einer Fernsehstation in die Luft gejagt, und irgendwer beschädigte einen Flugplatz nahe der ukrainischen Grenze. Transnistrien undRussland hielten Moldawien und der Ukraine angebliche Provokationen vor – und umgekehrt.
Moskaus Rhetorik erinnert dabei sehr an die Propaganda, mit der es seine „Militärspezialoperation“ in der Ukraine rechtfertigt: Der Abgeordnete Viktor Wolodazki warf der moldawischen Präsidentin Maia Sandu Nazismus vor, weil sie die orange-schwarzen prorussischen „Georgsbändchen“ (ehedem das Ordensband der zaristischen St.- Georg-Tapferkeitsmedaille) verbot. „Der Nazismus“, so Wolodazki, „der in unserer Nachbarschaft Wurzeln schlägt, muss vernichtet werden.“
Tatsächlich gilt der 1992 eingefrorene Konflikt zwischen dem rebellischen Grenzstreifen mit 500 000 und Moldawien mit 2,1 Millionen Menschen als vergleichsweise entspannt: Rebellenpräsident Wadim Krasnoselski dementiert, man mobilisiere alle Reservisten. Laut BBC untersuchen moldawische und transnistrische Sicherheitsorgane die Anschläge gemeinsam. Der transnistrische Fußballclub Sheriff Tiraspol spielt in der moldawischen Liga. Ein Großteil des legalen wie des illegalen transnistrischen Handels läuft über die Moldau. Und dass die gut 7000 Soldaten Transnistriens für Russland Kopf und Kragen riskieren, wird vielerorts bezweifelt.
Schließlich birgt ein russisches Luftlandeunternehmen in Transnistrien eigene Tücken: Die Transportflieger würden in Reichweite der treffsicheren ukrainischen Luftabwehr geraten.
„Die Landstreitkräfte Russlands könnten auch einen Durchbruch im Süden versuchen, um unsere Kräfte von der Donbass-Front abzulenken“, sagt der Kiewer Sicherheitsexperte Oleksi Melnyk. Wobei sie sich dann verzetteln würden. Melnyk glaubt, Moskau fache die Spannungen in der Moldau neu an, um mehr Menschen in die Flucht zu schlagen – aus Transnistrien nach Moldawien, wo jetzt schon Zehntausende aus der Ukraine sitzen. Melnyk: „Dieses Instrument des hybriden Kriegs wendet Russland ja jetzt schon gegen die Ukraine und Europa an. (...) Das ist die übliche opportunistische Vorgehensweise Russlands. Wenn sie Erfolge zeigt, versucht man, diese weiter zu entwickeln.“ Für Transnistrien und die Moldau ist es jedenfalls keine gute Nachricht, dass sie in Russland als mögliche Schlachtfelder diskutiert werden.
Aber auch ukrainische Heißsporne mischen mit: Juri Butussow, Chef des Portals „censor.net“, fordert, Transnistrien zu überrennen. Dort könne man sich massig Munition beschaffen und russische Soldaten einkassieren zum Gefangenenaustausch. „Die ukrainische Armee zerschlägt die Horden russischer Nazis in Transnistrien mit Leichtigkeit.“ Moldaus Staatschefin Sandu lehnt selbst nur die Idee ab. Und Experten wie Melnyik reagieren fast entsetzt: „Die Befreiung Transnistriens ist das Letzte, woran die Ukraine jetzt denken sollte.“