Thüringen: „Nicht über jedes Stöckchen der AfD springen“

Nach dem politischen Dammbruch von Thüringen spricht Wissenschaftlerin Sabine Kropp über Strategien im Kampf gegen die AfD und wie Parteien wieder an Profil gewinnen.
Hat das Desaster von Thüringen gezeigt, dass die Demokratie zerbrechlich ist, oder zeigt Thüringen, dass die Demokratie funktioniert? Immerhin gab es nach der Macht-Demonstration der AfD im Landtag sofort Proteste auf der Straße und innerhalb der anderen Parteien Kritik am Vorgehen der FDP.
Formal kann man die Wahl des Ministerpräsidenten nicht beanstanden, weil sie nach den Spielregeln der Verfassung zustande gekommen ist. Allerdings stellt es den Wählerwillen auf den Kopf, wenn die kleinste Fraktion im Landtag sich von Rechtspopulisten beziehungsweise Rechtsextremisten ins Amt des Ministerpräsidenten heben lässt. Gleichzeitig hat sich aber gezeigt, dass sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Parteien selbst gegenmobilisiert haben. Die Korrekturmechanismen wirken also.
War dieser Testfall unausweichlich, haben sich die etablierten Parteien treiben lassen?
CDU und FDP in Thüringen haben dieses Ergebnis zumindest billigend in Kauf genommen. Nur von einem Betriebsunfall zu sprechen, halte ich nicht für schlüssig, denn sonst hätte Thomas Kemmerich die Wahl nicht angenommen, er hätte auch noch einen Tag nach der Wahl die Bremse ziehen können. CDU und FDP haben dann noch immer davon gesprochen, eine Regierung bilden zu wollen. Sie haben erst beigedreht, als der Sturm der Entrüstung losbrach und auch die Bundesparteien gezeigt haben, dass sie die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen der AfD nicht billigen.
Thüringen: Die AfD erschüttert die bundespolitische Landschaft
Das alles hängt mit der AfD zusammen. Wenn sie es schafft, nicht nur Thüringen, sondern in der Folge auch die bundespolitische Landschaft zu erschüttern – wie konnte es dazu kommen, machen die anderen Parteien seit Jahren Fehler im Umgang mit ihr?
Es ist eine gewisse Ratlosigkeit zu beobachten. Ignorieren und Ausgrenzen funktionierten bisher nicht, diese Strategien haben die AfD nicht kleiner gemacht. Und wer auf deren Rhetorik eingestiegen ist, hat dazu beigetragen, dass die Polarisierung noch stärker geworden ist, das konnte man in den Landtagen in den vergangenen Jahren deutlich beobachten. Wir wissen, dass die AfD von einer wachsenden Polarisierung eher profitiert.
Sehen Sie Strategien im Umgang mit der AfD, die funktionieren, so dass sie zum Beispiel schwächer geworden ist?
Wir können in einigen westdeutschen Landtagen durchaus interessante Varianten beobachten, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz. Dort hat sich Malu Dreyer von der SPD seinerzeit hinter den Kurs der Bundeskanzlerin, also hinter eine migrationsfreundliche Politik, gestellt. Dreyer hat die Wahlen anschließend gewonnen. Ich denke, das konsequente Ausformulieren von Positionen, die man nicht bei jedem Gegenwind räumt, sondern durchficht, und die Strategie, die AfD zur sachpolitischen Auseinandersetzung zu zwingen, könnten dazu führen, dass auch die Schwächen der AfD zum Beispiel in der Renten- und Sozialpolitik sichtbar würden.

Wer also Haltung beweist und seine Themen vertritt, der hat eine Chance gegen die AfD?
Dies bedeutet ja nicht unbedingt Lernunfähigkeit. Haltung beweisen – ja, aber auch eine sachliche Auseinandersetzung mit wichtigen Themen, zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik, in der Verkehrspolitik, in der Umweltpolitik. Und die Parteien dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das die AfD ihnen hinhält.
Wie konnte denn so eine starke Wirkung von Thüringen ausgehen?
Mit der Wucht habe ich in der konkreten Situation auch nicht gerechnet. Aber man muss festhalten, dass es die CDU es in den vergangenen Jahren versäumt hat, einen Kurs zu entwickeln, der es den Landesverbänden jenseits von Unvereinbarkeitsbeschlüssen ermöglicht, Mehrheitskonstellationen zu finden. Der Bundesverband hat den Thüringer Landesverband mehr oder weniger alleingelassen bei der Entwicklung einer angemessenen Strategie. Das ist dann doch ein Führungsversagen der CDU, die Bundespartei trägt hier erhebliche Verantwortung. Und im nächsten Jahr stehen wieder Landtagswahlen im Osten an.
Thüringen: Eine Machtoption schaffen
Es wirkt zuweilen, als hätte Thüringen etwas aufgebrochen, was schon lange unter der Oberfläche vorhanden war.
An diesem Fall wird deutlich, wie sehr sich die Bundesverbände und die Landesverbände der Parteien auseinanderentwickeln, nicht zuletzt in der CDU. Wir beobachten seit Jahren eine wachsende Selbstständigkeit der Landesverbände. Das hängt zusammen mit den unterschiedlichen Koalitionsoptionen, aber auch mit ökonomischen Asymmetrien und der verschiedenen politischen Positionierungen der Landesverbände. Das wirkt sich negativ auf die Profilbildung der Partei aus. Im Moment wird sehr viel über die persönliche Verantwortung von Annegret Kramp-Karrenbauer gesprochen, aber jede Parteiführung wird mit den gleichen Problemen konfrontiert, wenn sie es nicht hinbekommt, eine Machtoption in den Ländern zu schaffen.
Wenn man das positiv betrachtet, dass sind das doch innerparteiliche Demokratisierungen, oder? Andererseits braucht jede Partei auch eine Basis, die die einzelnen Verbänden nicht in Frage stellen.
Das ist das Dilemma der größeren Parteien. Dass die CDU und auch die SPD heterogener werden, das ist demokratietheoretisch nicht nur eine schlechte Entwicklung. Die Landesregierungen müssen sich in Landtagswahlen legitimieren und eben nicht vor dem jeweiligen Bundesverband ihrer Partei. Gleichzeitig wissen die Wähler aber nicht mehr, wofür eine Partei steht, wenn die einzelnen Landesverbände sehr unterschiedliche Positionen zu elementaren Fragen einnehmen. Dazu gehört auch die Frage, wie man die Grenze nach rechts zieht.
Welche Partei kann das Dilemma in Thüringen meistern?
Sehen Sie denn eine Partei, die das Dilemma einigermaßen meistert, gelingt das zum Beispiel dem Aufsteiger Die Grünen besser?
Die Grünen, wie im Übrigen auch die AfD, haben es einfacher. Sie können sich eindeutiger positionieren, etwa bei Themen wie pro oder contra Migration, bei kosmopolitischen versus nationalen Themen. Im Gegensatz zur CDU müssen sie nicht so unterschiedliche Wählergruppen und Präferenzen integrieren. Deswegen ist die Ausdehnung des Wählerpotentials wohl begrenzt, die Grünen haben zum Beispiel noch keine Strategie entwickelt, wie sie mit den sozialen Verlierern des Klimawandels umgehen wollen.
In der CDU haben wir nun die Führungsdebatte, also die Frage nach dem Personal. Ist das zu früh? Müsste die Partei nicht erst einmal klären, wofür sie eigentlich steht?
Die CDU hat den langen Findungsprozess der SPD noch vor Augen, sie will nun schnell einen Kandidaten präsentieren. Ich gehe davon aus, dass dies nicht bis zum Parteitag im Dezember dauern wird. Was inzwischen passiert, ist allerdings unwägbar. Bisher galt, man solle Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz in einer Hand vereinbaren. Deshalb wird bald die Debatte losgehen, ob derjenige auch Kanzlerin Merkel beerben soll, um sich für die Wahlen zu profilieren. Vor der Bundestagswahl stehen zudem fünf Landtagswahlen an. Der Erfolg des neuen Kanzlerkandidaten wird auch davon abhängen, wie diese Wahlen ablaufen.
Deswegen stellt sich auch die Frage, ob es strategisch klüger wäre, schnelle Neuwahlen auf der Bundesebene zu forcieren.
Das wäre dann das Ende der großen Koalition. Die hat im Wesentlichen eine solide Regierungsarbeit hingelegt, trotz der vielen Konflikte. Die übrigen Vorhaben auf der Agenda könnten dann nicht mehr umgesetzt werden.
Das ist ein sachliches Argument. Gerade in der CDU sieht man jetzt aber, wie Emotionen wirken. Was erwarten Sie: Hält die Koalition?
Das ist schwer abzuschätzen, es hängt auch davon ab, welcher Kandidat sich in der CDU durchsetzt. Auch das Verfahren, wie er bestimmt wird, ist noch unklar. Wenn es einen offenen Wettbewerb gibt, werden die Differenzen aufgedeckt. Unter Umständen werden dann die Konflikte sogar noch vertieft, zum Beispiel bei Fragen des Umgangs mit der AfD und der Linkspartei. Im nächsten Jahr stehen ja Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt an. In Sachsen-Anhalt ist die Situation innerhalb der CDU mindestens genauso schwierig wie die in der Thüringer CDU.
Interview: Viktor Funk