Erstmeldung vom Mittwoch, 02.02.2022, 10.18 Uhr: Brüssel – Zahlreiche Organisationen und Parteien, wie Greenpeace und die Grünen, fordern unter anderem zum Zweck des Umweltschutzes die Abschaltung von Atomkraftwerken. Laut aktuellen Einschätzungen der EU-Kommission schaden Gas und Kernenergie allerdings nicht dem Klima - zumindest vorübergehend nicht.
Am Mittwoch (02.02.2022) will die Brüsseler Behörde einen delegierten Rechtsakt, die sogenannte Taxonomie, annehmen und Investitionen in Erdgas und Atomkraft künftig als klimafreundlich einstufen. Der EU-Vorschlag der Umwandlung in „grüne Energie“ wird allerdings von einigen Wissenschaftler:innen und Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, kritisiert.
Die EU will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Laut Schätzungen der EU-Kommission werden dafür rund 350 Milliarden Euro pro Jahr benötigt. Diese enorme Summe soll mit der Taxonomie mobilisiert werden. Bürger:innen und Investor:innen sollen Informationen darüber bekommen, welche Finanzprodukte zum Klimaschutz beitragen, damit Geld schließlich in die „richtigen“ Projekte fließt. Unternehmen sollen bis zu 100 Punkte bekommen, je nachdem, wie sehr deren Aktivitäten mit der Taxonomie übereinstimmen.
Dieser EU-Vorschlag stößt jedoch auf massive Kritik. Die Taxonomie ist umstritten, da sie laut Wissenschaftler:innen und Umweltschützer:innen Greenwashing und somit die Klassifizierung von nicht nachhaltigen Technologien als nachhaltig fördern könnte, anstatt dies wie ursprünglich geplant zu verhindern. Gas als „grün“ zu betiteln, obwohl es ein fossiler Brennstoff ist, der klimaschädliches Methan und Kohlenstoffdioxid ausstößt, sei demnach nicht korrekt. Bei Atomkraft wird kritisiert, dass es noch keine Lösung für die Lagerung der radioaktiven Abfälle gebe. Der EU-Plan spaltet zudem auch die Ampel-Regierung in Deutschland.
Verfechter:innen des Rechtsakts argumentieren jedoch, dass Investitionen in Gas und Kernenergie notwendig seien, um die Energiesicherheit während der Klimawende gewährleisten zu können. Ihnen zufolge können erneuerbare Energien das nicht stemmen, da sie noch nicht ausreichend ausgebaut sind.
Länder wie Frankreich oder Polen stehen hinter der Taxonomie: Sie erhoffen sich dadurch mehr privates Kapital für den Bau von Atomkraftwerken. Deutschland lehnt eine Investition in Kernenergie allerdings ab und sieht eher Erdgas als eine Art „Brückentechnologie“. Der Bau neuer Gaskraftwerke könnte durch einen grünen Stempel in der Taxonomie gefördert werden.
Laut einem Entwurf sollen neu gebaute Gaskraftwerke bis 2030 als klimafreundlich gelten, wenn sie direkte Emissionen von bis zu 260 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde aufweisen. Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig eingestuft werden, wenn ein konkreter Plan für die Lagerung der gefährlichen Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt. Wie die Auflagen künftig genau geprüft werden sollen, sei bislang nicht geklärt. Möglicherweise werden die Grenzwerte im finalen Rechtsakt nochmals angepasst.
Die Taxonomie ist bislang nur als Einordnung für private Gelder vorgesehen. Künftig sei es aber auch denkbar, dass öffentliche Banken wie die KfW diese für Investitionsentscheidungen nutzen könnten. Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte unter anderem damit bewerten, unter welchen Konditionen die Banken das Geld zur Verfügung gestellt wird.
Nachdem die EU-Kommission die Taxonomie angenommen hat, wird den Mitgliedsstaaten mindestens vier Monate lang Zeit gegeben, den Vorschlag abzulehnen. Dafür benötigt es jedoch einen Zusammenschluss von nicht weniger als 20 EU-Ländern, die 65 Prozent der Bevölkerung oder eine Mehrheit im Parlament repräsentieren. Falls dies nicht gelingt, tritt der Akt rechtmäßig in Kraft. Bislang zeichnet sich unter den insgesamt 27 Staaten jedoch keine Mehrheit dafür ab, die Pläne zu stoppen. (as mit dpa)