Tausende gehen auf die Straße in Wuhan

Ältere Menschen beschweren sich über die Leistungskürzungen bei der Krankenversicherung
Erneut sind mehrere Tausende ältere Menschen in der Provinzhauptstadt Wuhan auf die Straße gezogen. Sie versammelten sich am Donnerstag vor dem zentralen „Zhongshan Park“, um ihren Frust öffentlich kundzutun. Die Staatsmacht reagierte wie immer: Sie kesselte die Menge mit einer riesigen Menschenkette an Polizeikräften ein, sperrte die anliegende U-Bahnstation ab und löschte in Sekundenschnelle sämtliche Fotos, die Nutzer:innen auf den sozialen Medien hochluden.
Grund des Anstoßes ist eine von der Lokalregierung durchgeführte Reform der öffentlichen Krankenversicherung, die bereits zu Beginn des Monats umgesetzt wurde. Die vorwiegend älteren Demonstrierenden befürchten eine massive Kürzung der medizinischen Leistungen. Dabei ist das Gesundheitssystem in vielen chinesischen Provinzen bereits jetzt so rudimentär, dass jede ernsthafte Erkrankung zur existenziellen Krise führen kann.
Bereits vor einer Woche zogen die wütenden Rentner:innen erstmals vors Regierungsviertel. Unbeeindruckt vom strömenden Regen schrieen sie ihren Frust hinaus: „Warum zockt ihr uns kleine Leute ab? Wieso kürzt ihr nicht selber eure Leistungen?“, rief eine Frau, wie auf einer Videoaufnahme zu sehen ist. Solch große Proteste gegen die Regierungspolitik sind äußerst selten im autoritär regierten China. „Wenn die Alten es sich nicht mehr leisten können, einen Arzt zu besuchen, werden die Folgen unvorstellbar sein“, kommentiert ein User auf der Online-Plattform Weibo: „Ich hoffe, dass eine kostenlose medizinische Grundversorgung so bald wie möglich kommt“.
Der Unmut der Renter:innen aus Wuhan ist nur eines von unzähligen Beispielen, die im ganzen Land zu beobachten sind: Die Nachwehen der fast dreijährigen „Null Covid“-Politik, die die Lokalregierungen an den Rande des Bankrotts geführt hat, bekommen nun die Menschen in ihrem Alltag zu spüren. Die Strategie, bei der offiziell die Volksgesundheit im Vordergrund stand, führt nun zu nachhaltigen Einbrüchen im Gesundheitssystem.
Als Anfang Dezember schließlich die Corona-Öffnung so rapide, geradezu chaotisch erfolgte, hatte dies vor allem auch einen Grund, der in der öffentlichen Debatte unterging: Die kostspielige Infrastruktur war schlicht und ergreifend nicht mehr aufrecht zu halten. Die Lokalregierungen hatten keine Gelder mehr, um weiter täglich etliche Millionen zu testen und in Lockdowns zu versetzen. Und die Zentralregierung in Peking hat sich dagegen entschieden, mit finanziellen Mitteln auszuhelfen.
Die langfristigen Auswirkungen werden die Menschen auf Jahre zu spüren bekommen. Bereits im November letzten Jahres zeichneten sie sich ab: Zunächst waren es die medizinischen Helfer:innen von den PCR-Teststationen und Quarantäne-Einrichtungen, deren ausstehende Monatslöhne nicht mehr beglichen werden konnten. Später klagten die Busfahrer:innen und Lehrkräfte in etlichen Provinzen ebenfalls über offene Gehälter. Die Beamt:innen mussten teilweise schon 2021 drastische Kürzungen hinnehmen. Und einige Unternehmen beklagen, dass die Lokalregierungen derzeit vermehrt Betriebsprüfungen umsetzen – etwa gegen mögliche Umwelt- oder Arbeitsrechtsverstöße -, um an Gelder zu kommen.
Ob der Staat auf die Forderungen eingehen wird, ist nach wie vor offen. „Viele vergleichen die Situation mit den erfolgreichen Anti-Covid-Protesten“, kommentiert eine chinesische Nutzerin: „Ich glaube nicht, dass die Leute diesmal ihr Ziel mit Protestieren erreichen können“.