1. Startseite
  2. Politik

Wo Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma noch als Held gefeiert wird

Erstellt:

Von: Johannes Dieterich

Kommentare

Der damalige Präsident Südafrikas bei seiner Hochzeit 2010: Jacob Zuma in traditioneller Zulu-Kleidung.
Der damalige Präsident Südafrikas bei seiner Hochzeit 2010: Jacob Zuma in traditioneller Zulu-Kleidung. © Rajesh Jantilal/AFP

Die Nachricht von Ex-Präsident Zumas Verhaftung entfachte Proteste in den Provinzen der Zulu. Unser Korrespondent hat die Menschen in der Stadt Nongoma besucht.

Nongoma - „Mach dir keine Sorgen“, sagt Sabelo Ngema, als er mich zur Hochzeit eines seiner 24 Neffen mitnimmt: „Das ist alles nur ein Spiel.“ Auf einem Hügel mit atemberaubendem Blick über das Zululand kniet ein gutes Dutzend in Felle gekleideter junger Männer im hohen Gras und stößt heisere Kriegslaute aus. Ein mit Speer und Schild bewaffneter Mann stampft einen wilden ruckartigen Tanz, wirft ein Bein in die Höhe und schlägt mit dem Holzspeer auf seinen Kuhhaut-Schild, dass es wie ein Schuss über die Hügel knallt.

In respektvoller Entfernung kauert eine Gruppe junger Frauen, sie tragen bunte Perlencolliers über weißen Büstenhaltern. Als Ausdruck ihrer Genugtuung geben auch sie immer wieder schrille Schreie von sich. In ihrer Mitte sitzt die verschleierte Braut. Nach dem Kriegstanz begibt sie sich zu ihrem künftigen Gemahl und kniet ehrfurchtsvoll vor ihm nieder. Dann zieht sie sich wieder zu der Frauengruppe zurück, nur um wenig später mit einem stürmischen Beutezug vom Bräutigam entführt zu werden. Jubelrufe unter den Männern: Die Braut ist erobert, die Ehe geschlossen, der Durst wird mit selbstgebrautem Bier gestillt.

Ex-Präsident Jacob Zuma gehört dem größten Volk Südafrikas an: den Zulu

Sabelos Warnung war nicht wirklich nötig: Wer zu einer Hochzeit im Land der Zulu geladen ist, erwartet keine Romantik. Das mit zwölf Millionen Angehörigen größte Volk Südafrikas ist in aller Welt als kriegerisch bekannt. Seine Kämpfer wussten schon der britischen Kolonialmacht vor 150 Jahren in der Schlacht von Isandlwana eine seltene und empfindliche Niederlage beizubringen. Obwohl sich das Empire für die Blamage ausgiebig rächte, gelang es den europäischen Eindringlingen nie, das Königreich der Zulu wie das anderer einheimischer Völker auszuradieren.

Stattdessen entwickelten die Invasoren hier ihr später weltweit praktiziertes Prinzip des „indirect rule“ – einer Herrschaft, die wie ein Nutznießer auf bereits bestehende Strukturen gepflanzt wird. Noch heute residiert in Sichtweite des Hochzeitshügels der Zulu-Monarch, der seit dem Tod seines Vaters im Mai Misuzulu Zulu heißt. Oder auch nicht – denn die Thronfolge ist heftig umstritten. „Er spricht nicht einmal sauberes Zulu“, klagt Sabelo über den in den USA ausgebildeten Königsspross. Der Erbfolgestreit ist allerdings nur eines der Probleme, dem sich das Volk der Zulu ausgesetzt sieht. Ein anderes ist politischer Natur – und noch viel explosiver.

Der 26-jährige Zenzele, in Felle gehüllt, beim traditionellen Kriegstanz.
Der 26-jährige Zenzele, in Felle gehüllt, beim traditionellen Kriegstanz. © Mark Lewis

Auf Zuma-Festnahme folgten Plünderungen und gewalttätigen Aufstände in Südafrika

Nongoma sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Die Geschäfte des seelenlosen Straßenstädtchens sind mit Brettern vernagelt. Auf den Gehwegen häufen sich die Scherben zertrümmerter Schaufensterscheiben, Geldautomaten sind aus den Mauern gerissen, Dächer aus Wellblech wie Sardinendosen aufgebogen. Der Mob habe sein Geschäft bis auf den letzten Nagel ausgeraubt, berichtet ein Pakistaner vor dem Gerippe seines Eisenwarenladens. Der Manager einer gleichfalls bis auf die Regale ausgeräumten Metzgerei stimmt ihm zu. Die beiden Opfer der Plünderungen, die Mitte des Jahres in den südafrikanischen Provinzen Gauteng und KwaZulu-Natal (KZN) tobten, sind sich einig: Etwas Ähnliches hat Nongoma noch nie erlebt.

Selbst Monate nach der Eskalation der Gewalt sind deren Drahtzieher noch immer nicht ausgemacht, lediglich deren Auslöser steht fest: Die Verhaftung des ehemaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma, der wenige Tage zuvor vom höchsten Gericht des Landes zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war. Er hatte sich geweigert, vor einem Untersuchungsausschuss auszusagen, der sich derzeit mit Zumas von atemberaubenden Korruptionsskandalen überschatteten Regierungszeit beschäftigt.

Bei Protesten in Südafrika starben 350 Menschen, 200 Einkaufszentren zerstört

Dass der Arrest des prominenten Zulu zu Protesten führen würde, war wohl erwartet worden. Doch was tatsächlich geschah, schockierte die gesamte, nicht gerade zimperliche Nation. Innerhalb einer Woche wurden in der Provinz KwaZulu-Natal und den von Zulu bewohnten Teilen der Gauteng-Provinz mehr als 200 Einkaufszentren in Schutt und Asche gelegt, fast 350 Menschen getötet und ein Sachschaden von umgerechnet drei Milliarden Euro angerichtet. Die Botschaft war unüberhörbar: Wer sich mit Zuma anlegt, bekommt es mit den Zulu zu tun.

Ethnische Zugehörigkeit zu politischen Zwecken auszunutzen, hatte der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) stets peinlichst zu verhindern gesucht. Die „Comrades“ wussten von den bereits früher aus der Kolonialherrschaft befreiten afrikanischen Staaten, wie verheerend sich der Tribalismus auswirken kann. In vielen Ländern des Kontinents brachen nach der Unabhängigkeit erst einmal Kriege zwischen konkurrierenden Ethnien aus.

Die Zulu-Familie Ngema.
Die Zulu-Familie Ngema. © Mark Lewis

Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma: Gegen Freedom Charta verstoßen

Südafrika gehöre „allen Menschen, die darin leben“, hatte sich der ANC deshalb in sein Stammbuch, die „Freedom Charta“, geschrieben: „Stammeskriege“ sollten am Kap der Guten Hoffnung ausgeschlossen werden. Die Befreiungsbewegung wurde von Zulu geführt – wie dem Arzt und Friedensnobelpreisträger Albert Luthuli, von Xhosa wie Nelson Mandela oder vom derzeitigen Präsident Cyril Ramaphosa; er gehört dem kleinen Volk der Venda an.

Nur Jacob Zuma schien sich um die Besorgnis seiner Organisation nicht zu kümmern. Seine Fans pflegten T-Shirts mit der Aufschrift „100 Prozent Zulu“ zur Schau zu tragen – auch damals, vor 15 Jahren, als sich ihr Idol vor dem Johannesburger Amtsgericht wegen Vergewaltigung verantworten musste. Die Sitte seines Volkes verbiete es ihm, einer leicht bekleideten Frau seine Manneskraft vorzuenthalten, hatte sich Zuma damals verteidigt – und wurde vom (weißen) Richter freigesprochen. Zulu-Traditionalisten sahen sich bestätigt: Ausnahmsweise waren ihre Gepflogenheiten selbst von einem „europäischen“ Gericht anerkannt worden.

Vielehen in Südafrika: Zulu-Angehöriger Jacob Zuma hatte sieben Frauen

Sabelos Kraal liegt wenige Kilometer außerhalb Nongomas – ein umzäuntes Grundstück mit zwei runden Lehmhütten für die Geister der Verstorbenen und drei rechteckigen Backsteinhäuschen für die noch wesenhaften Ngemas. Im größten von ihnen lebt Sabelo mit seiner Frau Buyisile, im zweiten ihr 26-jähriger Sohn Zenzele, im dritten der Erstgeborene Musa, wenn er zu Besuch aus Johannesburg kommt. Ihre Mahlzeiten nehmen die männlichen Ngemas dann gemeinsam im Esszimmer ein, während Buyisile alleine in der Küche isst, nachdem die Männer satt sind. „Das ist bei uns Zulu so üblich“, sagt Sabelo: „Frauen werden bei uns wie Kinder behandelt.“ Ob er das für gut oder schlecht hält, ist dem sanften Lächeln des 62-Jährigen nicht zu entnehmen.

Sabelo ist eines von 30 Kindern, die sein Vater mit vier Frauen zeugte und die zumindest das Schulalter erreichten. Fast genauso viele starben bereits im Kindesalter. Vielehe ist unter den Zulu nicht nur erlaubt, sondern eine Sache des Prestiges. Der verstorbene König hatte sechs Frauen, Jacob Zuma sogar sieben. Als gläubiger Christ kam für Sabelo Polygamie allerdings niemals in Frage. Er teilt sein Volk in zwei Gruppen ein: Hier die „Ikholwa“ (die Gebildeten), die getauft sind, möglichst lange zur Schule gehen und nach dem Abitur einen Job in der Großstadt zu ergattern suchen. Und dort die „Iqaba“ (die „Barbaren“), die nur kurz zur Schule gehen, um möglichst schnell zum traditionellen Leben ihrer Ahnen zurückzukehren. Sie üben sich im Stockkampf, formieren sich zu Regimentern und stehen immer dann zur Verfügung, wenn dem Volk vermeintliche Gefahr droht.

Politische Anfänge für Jacob Zuma: Vermittler um die Zulu zu versöhnen

Wie Anfang der 1980er Jahre, als die „Impi“ genannten Krieger vom Berater des Königs, Mangosuthu Buthelezi, zu den Waffen gerufen wurden. Der Gründer der Inkatha-Partei sah den Feind in den sich im Zululand immer weiter ausbreitenden Comrades des ANC, die eher sozialistisch ausgerichtet waren und weder von Stockkämpfen noch von alten Zulu-Sitten etwas wissen wollten. Von einem Leben unter dem Diktat des Königs ganz zu schweigen. Dem Bruderzwist fielen in den 1980er und frühen 1990er Jahren mehr als 20 000 Menschen zum Opfer. Um ein Haar hätte er auch die ersten demokratischen Wahlen 1994 entgleisen lassen.

Zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt, sah Nelson Mandela als eine seiner wichtigsten Aufgaben die Versöhnung der Zulu an. Er schickte Jacob Zuma in die Unruheprovinz: Als Hybrid zwischen Comrade und „Iqaba“, der erst im Erwachsenenalter auf der Gefängnisinsel Robben Island Lesen und Schreiben gelernt hatte, schien dieser der ideale Vermittler zu sein. Der ehemalige Sicherheitschef der Befreiungsbewegung operierte äußerst erfolgreich: Kurzfristig nahm die Zahl der Gewalttaten ab, längerfristig gelang es dem ANC, seinem Erzkontrahenten die Schau zu stehlen. War die Inkatha-Partei aus den Wahlen 1994 noch mit über 50 Prozent als stärkste politische Kraft der Provinz hervorgegangen (gegenüber den 32 Prozent des ANC), hatten sich die Verhältnisse dann 20 Jahre später umgekehrt. Jetzt kam der ANC auf 63 Prozent, Inkatha nur noch auf elf Prozent.

Auch nach Verhaftung des Ex-Präsidenten: Zuma bleibt Held des Zulu-Volkes

Besonders wirksam hatte sich Zumas Schachzug erwiesen, den König aus der traditionellen Liaison mit der Inkatha-Partei herauszulösen. Dabei erwies sich das jährliche Stipendium von mehr als vier Millionen Euro als hilfreich, das der regierende ANC dem König zur Finanzierung seines Hofstaats aus der Staatskasse zu zahlen bereit war – sowie das Versprechen, dass der Monarch über einen Großteil des Grund und Bodens in der Provinz verfügen könne.

Der ANC habe den traditionellen Herrscher auf eine Weise verwöhnt, wie er sich das in der Allianz mit der Inkatha-Partei niemals hätte erträumen können, sagt die Gewaltforscherin Mary de Haas, die die Vorgänge in der KZN-Provinz seit Jahrzehnten studiert. Die sozialistische Befreiungsbewegung hatte sich schließlich in einen Mäzen der Monarchie verwandelt: Spätestens mit seiner Wahl zum Staatspräsidenten durfte sich Zuma als Held des Zulu-Volks feiern lassen.

Häuser für die Lebenden, Hütten für die Geister der Toten: Sabelos Zuhause.
Häuser für die Lebenden, Hütten für die Geister der Toten: Sabelos Zuhause. © Mark Lewis

„Zulus kommt zusammen“: Traditionelles Volk rebellierte nach Zumas Festnahme

Man nennt sie „fortresses of fear“, die Festungen der Furcht: Jene spartanischen Massenquartiere für Wanderarbeiter vor allem aus dem Zululand, die in den entlang der Goldader aufgereihten Stadtteilen Johannesburgs zu finden sind. Von den monströsen Wohnkasernen aus zogen die traditionellen Kämpfer der Inkatha-Partei einst zu ihren Feldzügen in die von Comrades dominierten Townships – außer mit Speeren und Schilden auch mit Kalaschnikows bewaffnet. Noch heute wagt sich die Polizei höchstens in Begleitung von Soldaten in die „Hostels“, Frauen ist der Zugang grundsätzlich verwehrt, Bleichgesichter werden im „Jeppe Hostel“ am Ostrand von Johannesburg höchstens geduldet, wenn sie von einem bekannten Gesicht wie Sabelos Sohn Musa begleitet werden.

Als er zum ersten Mal nach Johannesburg kam, wohnte Musa genauso selbstverständlich im Hostel wie heute noch drei seiner Vettern. Und wenn der einzige Enkel seines Großvaters mit Universitätsabschluss für sein kleines Bauunternehmen Tagelöhner sucht, besorgt er sich diese in der Mietskaserne. Das weit über 2000 Bewohner zählende Hostel ist streng hierarchisch geführt, mit einem „Induna“ an der Spitze, der seine Untertanen im Notfall mit dem Aufruf „Hlangana Zulu!“ („Zulus, kommt zusammen!“) mobilisiert. Wie nach der Verhaftung Jacob Zumas, als die Impi wieder einmal zu ihren gefürchteten Feldzügen auszogen – erstmals nicht gegen, sondern im Namen eines „Comrades“.

Korrupter Staatschef Jacob Zuma: Viele Zulus stört das nicht

Warum die Zulu-Kämpfer ihre Muskeln für einen Politiker spielen lassen, dessen Plünderung der Staatskasse Millionen Menschen noch tiefer in die Armut trieb? „Er ist ein Zulu“, antwortet Musa: „Dass er geklaut hat, spielt hier höchstens eine Nebenrolle.“ Auch Sabelo versteht die „Jagd“ auf Zuma nicht: „Wie kann man einen 79 Jahre alten Mann noch ins Gefängnis werfen wollen?“ Zuma befindet sich zwar längst wieder auf freiem Fuß. Doch angesichts der Welle an Betrugsverfahren, mit der sich der Ex-Präsident konfrontiert sieht, droht sich das Fanal vom Juli zu wiederholen. Die KZN-Provinz sei in einem Zustand wie schon lange nicht mehr, sagt Mary de Haas: Der Bruderkrieg zwischen Inkatha und ANC habe sich inzwischen in einen Kampf um die Pfründe innerhalb der Comrades verwandelt – zwischen einer Pro- und Anti-Zuma-Fraktion.

Letztere werde nach Auffassung Sabelos von Angehörigen anderer Volksgruppen gesteuert, die dem stolzen Kriegervolk seit alten Zeiten nicht wohlgesonnen seien. Kein Wunder, dass sich die Zulu wieder verstärkt auf ihre Traditionen besinnen, sagt der „Ikholwa“. Wie gut das sein kann, erlebt er derzeit in der eigenen Familie mit.

Während der Hochzeit des Neffen zog sich Sabelos jüngster Sohn Zenzele erstmals seit Jahren wieder die Felle über und stampfte den Kriegstanz der Ahnen. „Dafür wäre ich bis vor kurzem noch viel zu mager gewesen“, sagt der Abiturient. „Die Leute hätten gelacht.“ Zenzele wuchs im Johannesburger Township Kagiso auf, schloss sich dort einer Gang an, dealte mit Rauschgift und geriet selbst auf die Chemo-Droge „Tick“. Lange habe er so nicht mehr weitermachen können, erzählt der verlorene Zulu-Sohn. Vor wenigen Monaten kehrte er deshalb in die heimatliche Provinz zurück. So gut wie beim Kriegstanz habe er sich schon lange nicht mehr gefühlt: „Ich hatte den Eindruck, zum Mann geworden zu sein.“ (Johannes Dieterich)

Auch interessant

Kommentare