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Sudan: Warten auf die Waffenruhe

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Von: Johannes Dieterich

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Im Sudan scheint den Milizionären im Kampf gegen die Armee langsam die Luft auszugehen

Khartum - Munzir Siddig ist bester Dinge. In spätestens zwei Tagen sei der Spuk vorüber, meint der sudanesische Geschäftsmann am Telefon: Der Gefechtslärm habe bereits abgenommen. Der Sudanese sollte es wissen: Sein Appartement liegt im Zentrum Khartums zwischen einem Camp der Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF) und dem Hauptquartier der Streitkräfte – den Protagonisten der Kämpfe, die die Menschen in Sudans Hauptstadt nun schon den vierten Tag in Atem und in ihren Wohnungen halten. Munzir schickt Fotos von Einschusslöchern in seiner Wohnung: Anders als die inzwischen über 200 Todesopfer kam der Geschäftsmann bislang mit dem Schrecken davon. Selbst während unseres Gesprächs sind im Hintergrund allerdings Schüsse zu hören.

Wer in Khartum genug zu essen hat, verschanzt sich zuhause – andere, so wie diese Frauen, verlassen die umkämpfte Stadt lieber.
Wer in Khartum genug zu essen hat, verschanzt sich zuhause – andere, so wie diese Frauen, verlassen die umkämpfte Stadt lieber. © afp

Nach wie vor donnern die Kampfjets im Sudan über die Köpfe der Menschen

Kampfhandlungen sollten die Menschen im Sudan eigentlich gewohnt sein: In der 67-jährigen Geschichte der unabhängigen Nation tobte 55 Jahre lang irgendwo im Staatsgebiet ein Bürgerkrieg – allerdings meist an der Peripherie des vor seiner Teilung vor zwölf Jahren größten Flächenstaats Afrikas. Dass über ihre Köpfe Düsenjäger donnern und Panzer durch die Straßen rollen, ist für Khartums Bevölkerung jedoch ungewohnt: Entsprechend entsetzt fallen die Botschaften in den sozialen Netzwerken aus, über die sich die Hauptstadtbewohner:innen auf dem Laufenden halten. Dass das Internet nicht wie während des Aufstands gegen den Diktator Omar al Baschir oder während des Militärputsches vor eineinhalb Jahren abgeschaltet wurde, wird als Zeichen dafür gewertet, dass sich die Armee dieses Mal auf der richtigen Seite wähnt: General Abdel Fattah al-Burhan will offenbar alle Welt wissen lassen, welchen Schaden sein bisheriger Vize, Milizenführer Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti), anrichtet. In Munzirs Augen ist al-Burhan der „Retter des Volkes“: Dass der Streitkräftechef vom Volk geforderte demokratische Reformen blockiert, scheint plötzlich vergessen.

Auch Munzirs Eindruck einer allmählichen Waffenruhe wird nicht von allen geteilt. Über die Schule, in der Katharina von Schröder mit Freunden und ihrem achtjährigen Sohn seit dem Ausbruch der Gefechte am Samstagmorgen festsitzt, donnern nach wie vor Kampfjets: Hin und wieder muss sich die 42-jährige Mitarbeiterin von „Save the Children“ sogar mit ihrem Kind in den Schulkeller zurückziehen. Anders als die Mehrheit der Bevölkerung müssen die Gestrandeten vorerst keine Lebensmittelnot befürchten: Die Vorratskammer der Schul-Cafeteria reicht noch für mindestens zwei satte Wochen aus. In weiten Teilen Khartums funktioniert weder die Strom- noch die Wasserversorgung.

Khartum: Schlecht versorgte Kämpfer auf Raubzug

Sie sollten die Schule nicht verlassen, habe die deutsche Botschaft dringend geraten. Inzwischen sind nämlich nicht nur Panzer in Khartum aufgefahren: Auch sorgen die undisziplinierten und schlecht versorgten RSF-Milizionäre offenbar zunehmend für Probleme. Am Montagfrüh griffen sie einen Konvoi der US-Botschaft an, später raubten sie den Botschafter der EU, den Iren Aidan O’Hara, aus. Immer öfter wird von Plünderungen der Milizionäre berichtet, bei denen es sich meist um ungebildete junge Männer aus dem Hinterland handelt, für die viele in der Hauptstadt nur Verachtung übrig haben.

Volker Perthes sieht todmüde aus, als er am Dienstagabend über einen Videolink aus seinem Bunker in Khartum mit der Weltpresse spricht. Zuvor informierte der Sudan-Beauftragte des UN-Generalsekretärs den Sicherheitsrat über die Lage im Land, Hoffnungen hat der Arabist dabei keine gemacht. Beide Seiten zeigten keinerlei Interesse an Verhandlungen, klagte Perthes: Auch die ausgehandelten kurzen Waffenruhen wurden nicht eingehalten, die der Bevölkerung die Chance bieten sollten, sich in Schutz zu bringen. Am Dienstagmittag hatte Hemeti überraschend von einem Waffenstillstand gesprochen – doch die Armee dementierte.

Allein die Tatsache, dass sich der Milizenführer mit dem Wunsch nach einer Waffenruhe an die internationale Gemeinschaft gewandt habe, wertet Munzir als Zeichen seiner Schwäche. Vier der Generäle Hemetis seien bereits ums Leben gekommen, will der Geschäftsmann mit guten Verbindungen zum Militär wissen: Der Milizenchef selbst müsse mit demselben Schicksal, Asyl oder einer Gefängnisstrafe rechnen. Kholood Khair ist sich da weniger sicher. „Keiner von uns weiß, was wirklich los ist“, sagt die Gründerin des Khartumer Analyse-Instituts „Confluence Advisory“: „Wir sitzen wie Kaninchen in unseren Wohnungen und warten darauf, dass die Generäle ihren Machtkampf endlich ausgefochten haben.“ (Joachim Dieterich)

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