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„Sie haben uns zurückgelassen“: Ärztin aus dem Sudan kritisiert internationale Gemeinschaft

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Von: Johannes Dieterich

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Diese Menschen konnten sich nach Ägypten retten. Die meisten aber müssen ohne jede Hilfe im Sudan ausharren.
Diese Menschen konnten sich nach Ägypten retten. Die meisten aber müssen ohne jede Hilfe im Sudan ausharren. © dpa

Die Ärztin Ihsan Fagiri schildert die Lage im vom Kämpfen erschütterten Sudan und kritisiert die internationalen Staaten scharf. Ein Interview.

Frau Fagiri, wie sieht es in Khartum aus? Ist der Waffenstillstand noch in Kraft?

Nicht die Spur. Über unser Haus fliegen Düsenjäger der Luftwaffe. Ich weiß nicht, was andere behaupten: Aber seit dem Ausbruch der Kämpfe vor zwei Wochen habe ich keinen Waffenstillstand erlebt.

Wo befinden Sie sich gerade?

Ich bin mit meinem behinderten Sohn bei Verwandten in Omdurman (der auf der westlichen Nil-Seite gelegenen Zwillingsstadt Khartums, d.Red.) untergekommen. In meinem Haus in Nord-Khartum konnten wir nicht bleiben. Dort gab es weder Wasser noch Strom, wir konnten das Haus nicht einmal zum Einkaufen verlassen.

In Omdurman geht das?

Immer wieder mal. Dann kaufen wir schnell das Nötigste ein, vor allem Brot und Trinkwasser. Vor einer halben Stunde ist jetzt aber auch hier der Strom ausgefallen.

Anscheinend schießen die Lebensmittelpreise in die Höhe.

Manche Ladenbesitzer suchen tatsächlich aus dem Elend noch Gewinn zu schlagen. Aber die meisten sind anständig und halten die Preise so niedrig wie möglich.

Ishan Fagiri.
Ishan Fagiri. © dpa

Krieg im Sudan: Inzwischen 30 Krankenhäuser in der Hauptstadt geschlossen

Können Sie selbst noch arbeiten?

Nein, das Labor, in dem ich Pathologin bin, ist geschlossen. Genau wie mittlerweile 30 Krankenhäuser in Khartum. Sie sind entweder unzugänglich oder wurden von einer der beiden Kriegsparteien in Beschlag genommen. Unser Gesundheitswesen bricht zusammen.

An wen können sich Kranke oder Verletzte jetzt wenden?

Entweder sie sterben – wie etwa Nierenkranke, die Dialyse brauchen. Oder sie finden Hilfe in ihrem Stadtteil. Dort gibt es Netzwerke wie die Widerstandskomitees, die einst die Revolution organisiert haben und sich jetzt so gut es geht um die Bevölkerung kümmern. Außerdem hat die Ärzte-Vereinigung einen „Emergency Room“ eingerichtet, dem ich angehöre.

Ist das eine Behandlungspraxis oder eher ein Vermittlungsbüro?

Es ist eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten, die Informationen über die Verfügbarkeit von Spezialisten und Medikamenten austauschen und sie dann Hilfesuchenden zur Verfügung stellen.

Bekommen Sie Hilfe aus dem Ausland, der sogenannten internationalen Gemeinschaft?

Welche internationale Gemeinschaft? Sie haben alle ihre Leute hier herausgeholt und uns zurückgelassen. Sie kamen nicht einmal auf die Idee, die zur Evakuierung ihrer Staatsbürger entsandten Flugzeuge mit Arzneien für uns zu füllen.

Zur Person

Ihsan Fagiri (68) ist Pathologin und Mitglied der Sudanesischen Ärzte-Vereinigung, eine der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Gruppen im Sudan.

2009 gründete sie die Frauenrechtsorganisation „Nein zur Unterdrückung von Frauen“. Sie erhielt 2019 – auch für ihre Arbeit mit Vergewaltigungsopfern – den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar.

Kämpfe im Sudan: Ärztin hält beide Kriegsparteien für gleichermaßen schlecht

Die Bevölkerung fühlt sich zweitklassig behandelt?

Genau. Wir sind doch auch menschliche Wesen! Wir brauchen den Frieden genauso dringend wie Ihr Europäer. Und wenn hier das Chaos ausbricht, wundert Ihr Euch wieder über die Migrantenströme aus Afrika. Das ist heuchlerisch.

Zeichnet sich bei den Gefechten zwischen den Regierungstruppen und den Milizionären der „Rapid Support Forces“ ein Sieger ab?

Nicht, dass ich wüsste. Wenn es nach mir ginge, würde keine der beiden Seiten gewinnen. Womöglich wird es auch nie einen Gewinner geben. Dafür stehen die Verlierer schon fest: Das sind wir, das Volk.

Wäre es aus Ihrer Sicht besser, wenn die Milizionäre oder die Soldaten gewinnen würden?

Das macht kaum einen Unterschied. Beide haben gemeinsam unsere Demonstrationen gewaltsam aufgelöst und unsere Leute erschossen: Darin waren sie sich einig. Aber vielleicht sollte man doch eher den Regierungstruppen den Sieg wünschen. Die Milizionäre sind noch unberechenbarer.

Es heißt, hinter der Armee würden wie zu Omar al-Baschirs Zeiten die Islamisten stehen.

Das stimmt. Aber die Bevölkerung wird die Islamisten nie wieder akzeptieren. Sollten sie jetzt durch den Krieg wieder in die Schaltzentralen der Macht gelangen, werden wir sie mit einer neuen Revolution wieder entfernen.

Gibt es einen Silberstreifen am Horizont? Was muss passieren, dass die Kämpfe aufhören?

Das Militär muss sich aus der Politik zurückziehen, und die Milizionäre müssen in die Armee integriert werden. Aber zuvor müssen wir die Islamisten ausschalten: Dieser Krieg ist eine große Lehre für uns. (Interview: Johannes Dieterich)

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