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Spannungen eskalieren: Blutiger Machtkampf im Sudan

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Von: Johannes Dieterich

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Der Machtkampf zwischen den Streitkräften und einer paramilitärischen Gruppe eskaliert – viele Zivilpersonen sterben.

Khartum - Einen Tag nach dem Ausbruch schwerer Kämpfe im Sudan zwischen den regulären Streitkräften des Landes und der Miliz „Rapid Support Force“ (RSF) haben die Gefechte auch am Sonntag angehalten. Während RSF-Chef Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) die Einnahme strategisch wichtiger Orte wie des Präsidentenpalasts, des Hauptquartiers der Streitkräfte sowie des Flughafens in Khartum durch seine Kämpfer bekannt gab, bestritt Streitkräftechef Abdel Fattah al-Burhan die Behauptung Hemetis. Alle diese Einrichtungen würden nach wie vor von den Streitkräften kontrolliert, sagte der faktische Präsident des nordostafrikanischen Staats in einem Interview mit dem TV-Sender Al-Dschasira.

Sowohl aus der Hauptstadt Khartum sowie deren Nachbarstadt Omdurman wurden am Sonntag heftige Kämpfe gemeldet. Auch in der nordsudanesischen Stadt Merowe und der Hafenstadt Port Sudan sollen Gefechte stattgefunden haben. Nach Angaben des sudanesischen Ärzte-Komitees kamen allein in Khartum bis Sonntagmittag mehr als 50 Zivilist:innen ums Leben, rund 600 Verletzte seien in Hospitäler eingeliefert worden. Bei den Kämpfen wurden aufseiten der Regierungstruppen sogar Artillerie und Kampfjets eingesetzt: Mit Letzteren hätten die Streitkräfte das RSF-Hauptquartier in Omdurman angegriffen, hieß es. Auf dem Flughafen in Khartum sollen zwei Passagierjets ausgebrannt sein.

Rauch steigt am Samstag über der Hauptstadt Khartum auf – beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, mit der Gewalt angefangen zu haben. imago images
Rauch steigt am Samstag über der Hauptstadt Khartum auf – beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, mit der Gewalt angefangen zu haben. © Imago

Schwere Gefechte im Sudan

Unterdessen bezichtigten sich die beiden Generäle gegenseitig, die Kämpfe begonnen zu haben. Er sei am Samstagmorgen um neun Uhr von einem Angriff der RSF-Milizionäre auf seine Residenz überrascht worden, gab Streitkräftechef al Burhan bekannt: Ein Vorwurf, den Hemeti zurückwies. Der gewalttätige Konflikt habe mit einem Angriff der Streitkräfte auf das RSF-Hauptquartier in Omdurman begonnen, so Hemeti in einem Interview mit Sky News Arabia. Al-Burhan sei ein „Verbrecher“, der sich ergeben müsse, fuhr der Milizenchef fort, der bislang als Stellvertreter al-Burhans im „Souveränen Rat“, der faktischen Regierung des Sudans, fungierte. Auf ihrer offiziellen Facebook-Seite nannten die Streitkräfte Hemeti ihrerseits einen „gesuchten Kriminellen“: Bei dessen rund 100.000-köpfiger Miliz handele es sich um eine „Rebellentruppe“ mit der „keine Verhandlungen“ geführt werden sollten, sie müsse vielmehr unverzüglich aufgelöst werden.

Die Spannungen zwischen den beiden führenden Generälen des Landes hatten sich in jüngster Zeit zugespitzt, nachdem in einer Vereinbarung mit der zivilen Opposition des Landes im vergangenen Dezember die Integration der RSF in die reguläre Armee vereinbart worden war. Hemeti wollte eine derartige Einbindung seiner Truppe in die Streitkräfte frühestens in zehn Jahren zulassen und verteilte die Milizionäre im ganzen Land, was von den Militärs als Provokation betrachtet wurde. Die Rapid Support Force war vor zehn Jahren von dem damaligen Präsidenten Omar al-Baschir gegründet worden. Die in den Darfur-Provinzen eingesetzte Truppe bestand vorwiegend aus Kämpfern der berüchtigten Reitermiliz „Dschandschawid“: Ihr waren im dortigen Konflikt zwischen der arabischen und afrikanischen Bevölkerung Kriegsverbrechen und Völkermord vorgeworfen worden.

Hemeti wurde von al-Baschir zum Chef der RSF-Miliz gekürt, obwohl der inzwischen 50-jährige Spross einer Kamelzüchterfamilie aus dem Grenzgebiet zum Tschad lediglich drei Jahre lang die Schule besucht hatte.

Kommentar: Zukunft des Sudan: Schlecht und schlechter

Sidan: Hemeti werden enge Verbindungen zur russischen Söldnertruppe „Wagner“ nachgesagt

Als RSF-Chef brachte es Hemeti zu sagenhaftem Reichtum, unter anderem indem er seine Milizionäre gegen Bezahlung für Einsätze in den Bürgerkriegen im Jemen und Libyen auslieh. Später bereicherte sich Hemeti auch an illegalen Goldminen in den Darfur-Provinzen: Heute soll er einer der reichsten Sudanes:innen sein. Als der vom Strafgerichtshof in Den Haag des Völkermords angeklagte al-Baschir nach monatelangen Protesten der Bevölkerung im April 2019 zurücktreten musste, distanzierte sich Hemeti umgehend von seinem einstigen Gönner und gewann dadurch an Einfluss. Er stieg zum Stellvertreter al-Burhans im Souveränen Rat, also zum faktischen Vizepräsidenten des Landes auf. Im Juni 2019 waren seine Milizionäre an einem Massaker von über 100 Demonstrant:innen maßgeblich beteiligt: Trotzdem wurde ihr Anführer nicht zur Verantwortung gezogen.

Menschen rennen an einem Militärfahrzeug in Khartum vorbei, als es zu Zusammenstößen in der Stadt kommt.
Welche Folgen die Kämpfe für die geplanten Reformen im Land haben werden, ist noch unklar. © afp

Hemeti werden auch enge Verbindungen zur russischen Söldnertruppe „Wagner“ nachgesagt: Ausgerechnet am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine hielt er sich in Moskau auf. Obwohl der RSF-Chef den Putsch al-Burhans im Oktober 2021 und den damit verbundenen Abbruch der Reformbemühungen unterstützte, verstärkten sich die Spannungen zwischen den beiden Generälen zusehends. Hemeti sei mit der zweiten Position in dem Militärstaat nicht mehr zufrieden gewesen, meint der Khartumer politische Analyst Kholood Khair: „Allerdings hat er seine Unterstützung in der Bevölkerung wohl maßlos überschätzt.“

Welche Folgen der Machtkampf für die ins Stocken geratenen Reformen haben wird, ist noch offen. Nach jahrelangem Tauziehen und andauernden Protesten der Bevölkerung gegen die Militärherrschaft einigten sich Militärs und Opposition im Dezember auf die Bildung einer neuen zivilen Übergangsregierung: Details blieben aber noch offen. Angesichts der gegenwärtigen Kämpfe wird eine neue Verzögerung, womöglich sogar ein Abbruch des Demokratisierungs-Prozesses erwartet. (Johannes Dieterich)

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